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18. Kapitel

Ein Schrein wiegt selten einen Trickpfeil auf, Anästhesie kann ein wahrer Freund sein und auch eine schlechte Übersetzung sollte gut genug sein, um einer Invasion vorzubeugen.

 

Für alle, die noch nicht in einem Wörterbuch nachgeschaut haben, sei an dieser Stelle erklärt, was ein Psychopomp ist. Im wörtlichen Sinn handelt es sich um einen Seelengeleiter, also jemanden, der die Seele eines Toten an seinen Bestimmungsort führt, wie immer der auch aussehen mag. Einige werden von Männern mit Flügelschuhen in die Unterwelt geführt, andere von Frauen auf fliegenden Pferden zu einem großen Saufgelage und wieder andere von Männern mit Flügeln auf dem Rücken vor eine Gestalt mit etwas unbeständigem Charakter gebracht. Aber immer handelt es sich um eine göttliche oder wenigstens semi-göttliche Persönlichkeit, die den Toten an der Hand nimmt (oder über den Sattelknauf wirft), um ihn wenigstens das erste Stück des Wegs auf sicheren Pfaden zu geleiten. Was anschließend geschieht, ist ihnen für gewöhnlich gleichgültig.

Natürlich hatte der Professor keinen Apparat gebaut, der eine Seele in eine Unterwelt führte, an die der Erfinder selbst nicht glaubte. Stattdessen sandte er über die Verbindung, die die Seele noch lange zu ihrem Körper besaß, ein Signal aus, dass das dumme Ding glauben machte, dass endlich der Psychopomp gekommen sei. Allerdings fielen sie kein zweites Mal darauf herein, weswegen er auch nur einmal funktionierte.

Soweit die Theorie. Sie hatte ein paar Haken. Zum einen stellte sich die Frage, wie man mit dem Konzept einer Seele umging, wenn man eigentlich nicht an ein Leben nach dem körperlichen Tod glaubte (oder, wenn man schon einmal dabei war, eine Existenz vor der Empfängnis). Zum anderen war auch  ungeklärt, von wo man die Seele fortriss und wohin man sie wieder entließ. Hätten sich Theologen mit dem PNP beschäftigt, sie hätten vermutlich ein paar eindeutige Worte gefunden, die die Erfindung des Professors ebenso verboten hätte wie Streitkolben, Armbrüste und Orangenmarmelade mit Rosinen.

Allerdings war diese Theorie nur ein Gespinst, dass der Professor sich ausgedacht hatte, um seiner Erfindung einen coolen Namen geben zu können und seine Kollegen zu beeindrucken. Eigentlich ging er davon aus, dass der PNP die zellulare Restmagie dazu verwendete, um die Erinnerungsströme zu reaktivieren. Mit ihrer Hilfe generierte er ein schemenhaftes Restselbstbild, mit dem man interagieren konnte. Er ging davon aus, weil er den PNP selbst gebaut und sehr viel Hirnschmalz darauf verwendet hatte, dass er genau diese Funktionen erfüllte.

Daher war die Wirkung, die der PNP auf Vampirin hatte, ein wenig  überraschend für ihn gewesen.

Mochte es sein, wie es war, Fidster und Au waren angemessen beeindruckt, als plötzlich über der Leiche eine Gestalt waberte. Cleene andererseits war nur wütend, was für sie vermutlich ebenfalls angemessen war.

„Du wiederholte Beischläferin mit Fremden! Was ist mit mir los, das meine Schwester mich töten will und dann doch nicht? Warum wird sie stärker, wenn ich stärker werde? Was ist mit ihr los? Und warum kann ich nicht richtig fluchen?“

Die Gestalt der Mutter begann zu flackern. „Langsam, Cleene. Immer nur eine Frage. Deine Mutter kann in ihrem derzeitigen Zustand nicht so gut denken.“

Cleene verkrampfte sich noch mehr und brachte einen Moment lang kein Wort heraus. Erst als Au sich neben sie stellte und ihre Hand nahm, beruhigte sie sich langsam.

„Na gut. Dann halt nur eine.“ So betont, als würde sie einem kleinen Kind eine Frage stellen, sprach Cleene erneut ihre Mutter an.

„Warum kann ich mich nicht richtig an meine Schwester erinnern.“

Die Gestalt über der Leiche wandte den Kopf in ihre Richtung und das Gesicht ließ Traurigkeit erkennen. „Du bist meine Tochter. Wie schön, dich zu sehen.“ Dann zögerte sie und ihr Gesicht verfinsterte sich. „Ach. Du bist das. Ich hatte gedacht, du wärst die andere.“

„So freundlich wie immer. Das hatte ich ganz vergessen. Ich frage mich bloß, warum“, raunzte Cleene zum Professor hinüber. Dieser gab ihr jedoch nur ein paar Zeichen, damit sie weiterfragen würde.

„Warum magst du mich nicht?“ begann Cleene aufs Neue und klang dabei etwas kläglich.

„Du warst immer die Schwierige. Nur Schwierigkeiten. Immer Ärger.“

„Ich? Aber Groose ist doch die Anführerin einer Verbrecherorganisation?“

„Alles nur deinetwegen. Sie hat dich angehimmelt. Ist dir Tag und Nacht hinterhergelaufen. Sie hat dir sogar einen Schrein gebaut, bis du ihn angezündet hast.“

„Sie hat mir einen Schrein gebaut?“

„Sie war so ein artiges Mädchen. Da, wo du alle geärgert hast, hat sie ihnen geholfen. Wo du Bettlern das Geld gestohlen hast, hat sie gespendet. Und sie hat so schöne Bilder gemalt.“

„Und warum kann ich mich daran nicht erinnern?“

„Weil sie dir einen Hammerpfeil an den Kopf geschossen hat.“

„Einen Hammerpfeil? Was ist ein Hammerpfeil und warum hat sie das getan?“

Ihre Mutter schwieg. „Zu viele Fragen auf einmal, Frau Cleene“, belehrte sie Au, die mit einigen grauen Strähnen im Haar den „Geist“ betrachtete. Cleene verkrampfte die Hände.

„Was ist ein Hammerpfeil?“

„Groose hat ein einen Hammerkopf auf einen Pfeil montiert. Sie war immer so geschickt.“

Etwas genervt warf Cleene die Hände in die Höhe. „Und warum hat sie das getan?“

„Es waren die Träume. Du hast angefangen, zu träumen und dabei alles um dich herum zu zerschlagen. Wir mussten mit dir zum Arzt gehen. Es war teuer, aber ständig neue Betten zu kaufen, war teurer.“

„Na danke. Da fühl‘ ich mich gleich so richtig geliebt. Ich verstehe trotzdem nicht, warum sie mir dann einen Hammer an den Kopf geschossen hat?“

„Der Zauber des Arztes hat dich zwar friedfertiger gemacht, aber deine Träume gingen weiter und du hast ihr alles berichtet. Wir haben es zuerst nicht mitbekommen, aber du hast ihr furchtbare Sachen erzählt, die du im Traum gesehen hast. Wie sie eine Stadt zerstört, wie sie uns umbringt. Und natürlich, dass sie ihrer Puppe den Kopf abreißen würde. Das arme Ding konnte es nicht mehr aushalten.“

„Und deswegen kann ich mich nicht mehr richtig erinnern. Trotzdem verstehe ich nicht, warum ich angeblich die Böse war und mich der Hammer zur Guten gemacht hat.“

„Oh nein, das war nicht der Hammer. Der Arzt konnte keine Freundlichkeit in dir finden, die sein Zauber hätte verstärken können. Deshalb nahm er etwas von Groose. Und in dem Maße, wie du freundlicher wurdest, wurde Groose boshafter. Sonst wäre sie doch niemals auf die Idee gekommen, uns umzubringen. Bei dir hätten wir damit gerechnet. Dich hätten wir niemals ein Essen zubereiten lassen oder auch nur ein Messer in die Hand gegeben. Aber Groose konnte so gut kochen, dass wir nicht einmal bemerkt haben, als sie uns das Betäubungsmittel gab. Es ist uns erst aufgefallen, als sie uns anschließend im Keller bei lebendigem Leib seziert hat. Sie ist ja so talentiert.“

Cleene war gleichermaßen verwirrt wie wütend. Ihrer tollen Schwester vergaben sie sogar ihre eigene Ermordung, aber ihr selbst hielten sie vor, dass sie sie böse gemacht hatte. Wäre sie eine Haartanerin gewesen, wären ihre Haare vermutlich in Flammen aufgegangen, wenn sie nicht zuvor ausgefallen wären, denn sie war sich ziemlich sicher, dass sie keine Frage gestellt hatte.

„Habe ich eine Frage gestellt? Professor? Ich glaube nicht, dass ich eine Frage gestellt habe.“

„Ich glaub es auch nicht. Das ist sehr seltsam“, fügte er mit einem Blick auf den Psychotronen Neo-Pseudopsychopomp hinzu. Er schüttelte ihn ein wenig, wodurch die geisterhafte Gestalt zu vibrieren begann.

„Ist doch gleichgültig. Wir wissen jetzt, was wir wissen wollten. Klingt für mich wie eine Bilaterale-Sahar-Verbindung. Darüber musste ich im ersten Semester einen Aufsatz schreiben. Eine relativ häufige Sache, die auch unbeabsichtigt entstehen kann. Lasst uns das hier beenden und gehen.“

„Wir können noch nicht gehen, Fidster. Wenn du tatsächlich etwas über BSVs weißt, dann solltest du auch wissen, dass sie tödlich sein können und nur der Magier sie aufheben kann, der sie angelegt hat.“

„Das stimmt so nicht ganz, Prof. Tödlich sind sie höchstens, wenn einer der verbundenen stirbt und selbst das ist nicht garantiert. Und lösen kann diese Verbindung jeder Magier mit ausreichend Ressourcen, um einen Silberfadendämpfer in der Astralebene errichten zu können.“

„Soweit die Theorie. Meines Wissens nach hat das jedoch noch nie jemand ausprobiert. Die offizielle Methode ist erheblich effizienter.“

„Wenn der Magier denn noch zur Verfügung steht.“

„Könnt ihr mal aufhören. Ich hab keine Ahnung, was eine Biliberale Saar Verbindung ist, aber warum sollte meine Schwester stärker werden, wenn ich stärker werde?“

„Eben wegen der BSV. Es klingt ungewöhnlich, da sie entstanden zu sein scheint, weil ihre Friedfertigkeit an dich übertragen wurde. Aber vermutlich lieferst du ihr etwas zurück, in diesem Fall deine Fähigkeiten.“

„Aber ich habe doch noch meine Fähigkeiten.“

„Es funktioniert oft nicht als Austausch. In diesem Fall sieht es so aus, als würde sie einfach an allem, was du kannst, teilhaben. Vielleicht auch noch mehr: Sie könnte auch deine Gedanken spüren oder etwas ähnliches.“

„Na toll. Warum kann ich es nicht?“

„Du warst schon immer unfähig, dich in andere einzufühlen“, kam die Antwort ihrer Mutter, zu der der Professor und Fidster sich nur anblickten, fast synchron die Schultern hochzogen und nickten.

„Damit bleibt noch eine Frage, die du stellen solltest“, forderte der Professor sie auf.

„Und welche?“

„Wer der Zauberer war?“

„Guuut! Dann frage ich eben. Wer hat den Zauber auf uns gelegt hat? Ich meine meine Schwester und mich.“

„Eine alte Haartanerin. Dir Nicht, oder Wir Nicht. Die haartanischen Namen sind ja alle etwas seltsam.“

Ein Seufzen war aus Aus Richtung zu hören. Ein Blick verriet jedoch, dass sie inzwischen wieder zu ihrer normalen Haarfarbe zurückgekehrt war und keine Anstalten zu machen schien, sich über den erneuten Seitenhieb in Richtung ihres Namens aufzuregen.

„Das könnte ein Problem werden“, bemerkte der Professor, während er den Psychotronen Neo-Pseudopsychopomp ausschaltete. „Wir stehen vermutlich derzeit nicht auf gutem Fuß mit der Nicht-Familie.“

„Hey, ich wollte noch ein paar Fragen stellen.“

„Und ich will Energie sparen. Wir haben alles erfahren, weswegen wir hierhergekommen sind.“

In diesem Moment hörten sie Geschrei aus dem Raum, in dem die Teergrube immer noch weitere Leichenteile preisgab.

„Sie scheinen ihre Leiche gefunden zu haben“, bemerkte Fidster.

„Das klingt nicht nach Jubel, Herr Fidster.“

„Vielleicht streiten sie sich?“

„Das trifft es schon eher“, bemerkte der Professor und eilte zum Eingang. „Ich glaube, ich kenne diese Stimme.“

 

Fünf Minuten später standen sie um Cleene herum, die aus einer hässlichen Wunde aus ihrer Seite blutete.

„Warum erwischt es eigentlich immer mich?“

„Deine Mutter hätte bestimmt eine Antwort dazu gewusst. Außerdem“, Fidster deutete auf ein Wunde an seinem Bein, „stimmt das überhaupt nicht.“

„Ich kümmere mich darum“, sagte Galia Lindoa, der sie zur Hilfe gekommen waren. Sie und der Professor hatten sich über die andere Gruppe hinweg angelächelt und sie hatte ihm in knappen Worten erklärt, dass Dicki ihr den Psychotronen Neo-Pseudopsychopomp gestohlen hatte, an dessen Reparatur sie gemeinsam gearbeitet hatten. Sie war dem Dieb bis in diese Unterwelt gefolgt, was ihr angesichts der magischen Kennung, die das Gerät besaß, nicht schwer gefallen war. Und verständlicherweise hatte sie ihr Eigentum zurückverlangt.

Andererseits waren ihre Anglerkollegen verständlicherweise nicht gewillt gewesen, den PNP herauszurücken. Für sie war es das einzige, was ihnen eine größere Blutspende ersparen konnte. Vermutlich hätte der Professor auch dieses Mal für einen Ausgleich sorgen können, aber leider hatte sich Balmu von seiner Begegnung mit Aus Fuß so weit erholt, dass er seinem Mundwerk wieder freien Lauf ließ, was Galia, die als Ärztin gewohnt war, ihren Willen durchzusetzen, zu einem Beleidigungswettstreit animierte. Und als Myoelny an dem Psychotronen Neo-Pseudopsychopomp herumzuspielen begann, eskalierte die Situation.

Duranda und Calibura saßen gefesselt an einer Wand und erholten sich nur langsam von der Begegnung mit Cleenes und Fidsters Meißeln. Au hatte versucht, ihren Hammer erneut ins Spiel zu bringen, war aber erst zum Ende hin wütend genug geworden und hatte ihn mit dem ersten Schlag tief ins Gestein getrieben, aus dem sie ihn bis zu seiner Rückverwandlung nicht wieder befreien konnte. Galia hatte Myoelny in den Teich geschubst, wo er sich verkrampft an einem Felsvorsprung festklammerte und nicht wagte, wieder herauszuklettern. Balmu war untergegangen und seine Schuhe würden die nächsten Angler erfreuen.

Leider hatte Calibura fast so gut ausgeteilt, wie sie eingesteckt hatte.

„Ich muss die Wunde nähen. Und zwar schnell.“ Galia pulte einen kleinen Kasten aus ihrer Umhängetasche und schob den Deckel zur Seite, der mit einem dicken Fragezeichen versehen war.

„Wofür steht das Fragezeichen? Falls jemand nicht weiß, wie der Doktor heißt, dem es gehört?“

„Nur ein kleiner Scherz. Es ist mein Notfallkasten. Man weiß halt nie, wann man ihn braucht“, antwortete die Ärztin, während sie einen Faden in ihre Nadel einfädelte.

„Hat jemand etwas Alkohol, Schmerzstiller oder Betäubungsmittel?“

„Ich könnte einen Nullzonengenerator aus den verschiedenen Geräten zusammenbauen.“

„Das dauert zu lange und außerdem benötigen wir sie vielleicht noch. Wir sind alle nicht mehr besonders gut bewaffnet.“

„Ich halte das schon aus. Ich muss danach ja auch laufen.“

„Das lob ich mir. Eine Patientin, die die Zähne zusammenbeißt. Sowas kommt heutzutage nicht mehr so häufig vor.“ Fidster fand, dass der kurze Blick in seine Richtung vollkommen unnötig war.

Dann beobachteten sie gebannt, wie sich die Nadel langsam dem Fleisch näherte, und alles andere verlor an Bedeutung. Es war, als würden sie es unter einem Vergrößerungsglas betrachten. Die Spitze kam einer Pore näher und näher. Gleich würde der Schmerz beginnen, sobald sie ins Fleisch eindrang und der Faden die Wundränder zusammenzog. Gleich würden die Schmerzen beginnen und sie würden ihre Kollegin am Boden festhalten, damit Galia ihr Werk vollenden konnte.

 

Insgesamt war die Operation schneller beendet, als alle es gedacht hatten, was vor allem daran lag, dass Cleene nach dem ersten Stich ohnmächtig geworden war. Aber immerhin hatte sie zuvor nicht geschrien und in ihrer Gegenwart bestätigten alle bereitwillig, dass nur der Blutverlust für ihre Ohnmacht verantwortlich sein konnte und nicht die Schmerzen. Krieger wurden schließlich nicht bewusstlos, nur weil man ihnen wehtat.

Allerdings musste man ihr zu Gute halten, dass sie sich während des Aufstiegs wacker hielt. Genaugenommen übernahm Fidster das halten die meiste Zeit, aber sie jammerte nur ganz wenig und ob sie fluchte, ließ sich kaum sagen.

Allerdings musste die kleine Gruppe bald feststellen, dass sie ums Verrecken nicht wussten, wo sie sich befanden, nachdem sie drei Stunden dahingeschlichen waren und sich vor einem Tor wiederfanden.

Insoweit, dass es aus mehreren übereinander vernagelten Holzplanken gezimmert war und genau die richtige Höhe für einen durchschnittlich großen Menschen besaß, hätte man es eigentlich als Tür bezeichnen müssen. Die kunstvoll aufgetragenen Schriftzeichen und Piktogramme auf dem Holz und dem Fels um die Tür herum rechtfertigten jedoch die Bezeichnung „Tor“. Dass alles in einem giftigen Grün und dunklem Rot gehalten war, verlieh dem ihm etwas Ominöses. Jemand hatte in einer anderen Farbe ein paar Fragezeichen auf den Fels neben die Schriftzeichen gekritzelt, die aber kein Bestandteil der eigentlichen Nachricht zu sein schienen, sondern nur der Verwirrung über die für die meisten Mitglieder der Gruppe unleserlichen Zeichen Ausdruck verlieh.

„Und was jetzt? Drehen wir um und nehmen eine andere Abzweigung oder öffnen wir diese Tür?“

„Ich wäre für umkehren, Herr Fidster. So hübsch ich die Schrift auch finde, scheint sich doch jemand Gedanken darüber gemacht zu haben, dass es wichtig wäre, an der Tür eine deutliche Warnung anzubringen.“

„Wie kommst du darauf?“

„Nun, zum einen sind ist es natürlich die Farbe. Aber ein Hinweis ist auch, dass dort neben dem Piktogramm für ‚Dringend! Höflichst Abzuraten dem Zugang‘ ein großes ‚Hinweis der Vorsicht‘ steht?“

„‘Höflichst Abzuraten dem Zugang‘? Was soll das denn heißen?“

„Ich glaube, Au meinte ‚Bitte nicht eintreten‘, Cleene. Was ist das für eine Sprache?“

„Es handelt sich um altes Arkanes Anoisies“, mischte sich der Professor ein. „Soweit ich weiß, lernt man es im Studiengang theoretische Magie erst im Aufbaustudiengang, weil es keine theoretische Anwendung findet und nur für tatsächliche magische Texte verwendet wird. Aber wo hast du es gelernt, Au?“

„Die haartanische Minuskel ist daraus hervorgegangen, weswegen ich es ein bisschen lesen kann.“

„Ich muss zugeben, liebe Au, dass es die Haartaner immer wieder schaffen, mir noch ein wenig unheimlicher zu werden. Bitte, lies doch weiter. Eine Warnung war für uns ja noch nie ein Grund unseren Weg nicht fortzusetzen.“

„Genau Pro. Außerdem würde ich gerne einfach weiterkommen. Die dumme Verletzung ziept vermaledeit.“

„Dann lese ich weiter. Einen Augenblick. Ah. Hier steht: ‚Dieser Durchgangverschluss bittet die Mengen und Herden der sehr großen Lichtlosigkeit aufs Freundlichste, unsere Ebene des Vorhandenseins nicht zu betreten. Einer, der sich bereitfindet, ohne Überlegung dessen, was folgen könnte, den Türöffner zu betätigen, wird hereinlassen das Übelste, was wo anders zu finden ist und zur empfindlichen und unangenehmen Auflösung des Vorhandenseins beitragen‘, was für ein ungewöhnlicher Text.“

Sie drehte sich zu den anderen um und verpasste dabei, wie sich Cleene auf ihrer abgewandten Seite an ihr vorbeischlängelte. Die Kriegerin hatte sich aus Fidsters Armen gedreht, sobald sie die kleine Platte entdeckt hatte, die dort angebracht war, wo sich bei anderen Türen der Knauf befand. Bei dem Anblick hatte es ihr in den Fingern gekribbelt und nun, da sie ein wenig näher stand, konnte sie den Knopf darauf erkennen. Ohne zu überlegen oder den anderen auch nur Zeit zu lassen, sie aufzuhalten, drückte sie den Knopf. Die Art, wie er sich langsam unter ihrem Finger bewegte und schließlich ein klicken verursachte, zauberte ein Lächeln auf ihr Gesicht.

Das Tor schwang auf und einen Augenblick lang war nichts als seelensaugende Schwärze war zu sehen. Dann explodierte die Finsternis in ein Chaos aus Bewegung und offenbarte Kreaturen in Farben, die als Vorlage für die Schrift gedient zu haben schienen. Aber so, wie ein Kind einen Regenbogen nur aus den Farben malte, die am prominentesten hervorstachen und auf diese Weise nie die gesamte Majestät dieser Naturerscheinung wiedergeben konnte, waren die Farben der Schrift nur zwei der unzähligen Widerlichkeiten, die sich Cleene und den anderen in diesem Augenblick in die Augen erbrachen.

„Woaw!“ war alles, was die Pylonistin hervorbrachte, während die Monstren der fremden Welt hinter der Tür auf ihren Ausgang zuströmte.

Au war ähnlich fasziniert von den Bildern, die sich ihr offenbarten. Aber während sie sich vornahm, sie in einer ihrer neuen Tarotkarten zu verewigen, hielten ihre Träume doch größere Scheußlichkeiten bereit und die genoss sie. Daher ließ sie sich von dem Anblick weder zu sehr begeistern noch in blankes Entsetzen versetzen, wie es gerade bei Fidster und Galia geschehen war.

Allerdings wurde ihr schnell klar, dass sie die Tür schließen musste, wenn sie noch irgendeine Tarotkarte anfertigen wollte. Sie machte einen schnellen Schritt auf die Tür zu und drückte erneut den Knopf, woraufhin sich die Tür wieder schloss.

„Ganz schön leichtsinnig, die Tür nicht zu verriegeln.“

„Vermutlich hielten die Erschaffer die Warnungen für ausreichend, Au.“ Der Professor schien ebenfalls unbetroffen zu sein, während Galia zu weinen begann, Fidster sich übergeben musste und Cleene immer noch auf die Tür starrte.

„Komm, wir sollten Cleene von diesem Knopf fernhalten.“ Damit zogen sie die Frau mit sich fort und warteten nicht einmal, bis sich die anderen beiden genug erholt hatten, um ihnen zu folgen.

Sie hielten erst wieder an, als sie an der nächsten Abzweigung auf Mießnimbel und seinen Vorgesetzten trafen.

„Schön, ich hatte bereits befürchtet, wir müssten heute noch eine Horde an Monstern aus den Kerkerdimensionen in Gewahrsam nehmen.“

Es war einer jener Momente, bei denen Fidster immer bedauern würde, nicht dabei gewesen zu sein. Dem Professor entglitten die Gesichtszüge, bis sein Mund fast bis auf seiner Brust hing, ihm die Augen ein wenig aus den Höhlen hervorstanden und die Nase zu zucken begann. Aus Haare verfärbten sich blitzschnell von blau nach blassgrün. Ihr Gesicht zeigte zwar weniger Emotionen, als das des Professors, aber die Irritationsfalte zwischen ihren Augenbrauen sprach Bände für jene, die sie kannten.

„Was machen sie hier?“

„Wir sind Wächter dieser Stadt. Was haben sie erwartet? Nur weil wir nicht jeden Verrückten gefangen setzen, der der Meinung ist, sich in die Unterwelt begeben zu müssen, sind wir doch nicht Pflichtvergessen.“

„Sind sie uns gefolgt?“

„Das mussten wir gar nicht, wie ich meinem jungen Kollegen gerade gezeigt habe. Jeder Neue landet über kurz oder lang an diesem Ort.“

„Sie haben die ganze Zeit hier gewartet?“

„Natürlich nicht!. Für gewöhnlich dauert es mindestens einen halben Tag. Da hat man genügend Zeit, noch eine Runde zu drehen und etwas zu essen.“ Etwas vorwurfsvoll fügte er noch hinzu: „Sie haben etwas länger benötigt.“

„Aber da hinten … die Tür … wenn da was durch kommt … warum haben sie dann nicht …“ auch dies hätte Fidster gerne gesehen, er lag jedoch noch etliche Schritte zurück.

„Schnickschnack. Wenn wir sie vorher eingesperrt hätten, wären sie nur noch neugieriger geworden. Außerdem war dies eine wertvolle Lektion für Mießnimbel. Er muss noch eine Menge über unsere Aufgaben lernen.“ Der erwähnte wirkte insgesamt sehr zufrieden mit sich, seiner Welt und besonders seinem Ausbilder, auch wenn er beim Klang seines Namens ein wenig schüchtern grinste.

„Aber vermutlich sollten wir sie jetzt besser zurück zur oberen Stadt bringen. Sie wirken, als hätten sie alles getan, wozu sie heute in der Lage sind.“ Damit löste sich der Wächter von der Wand, an der er die ganze Zeit gelehnt hatte und fiel in jenes Schrittmuster, welches es Wächtern auf allen Welten ermöglichte, Tage oder auch Nächte hindurch ihre Runden abzugehen, ohne allzu sehr zu erschöpfen.

 

Verwendete Tropen:

x http://tvtropes.org/pmwiki/pmwiki.php/Main/HonoraryTrueCompanion
x http://tvtropes.org/pmwiki/pmwiki.php/Main/SkipTheAnesthetic
x http://tvtropes.org/pmwiki/pmwiki.php/Main/GoodBadTranslation
x http://tvtropes.org/pmwiki/pmwiki.php/Main/TrickArrow
x http://tvtropes.org/pmwiki/pmwiki.php/Main/ConfusedQuestionMark
x http://tvtropes.org/pmwiki/pmwiki.php/Main/StalkerShrine
x http://tvtropes.org/pmwiki/pmwiki.php/Main/DreamingTheTruth

 

Abgelehnte Tropen:

http://tvtropes.org/pmwiki/pmwiki.php/Main/MissingSecret
http://tvtropes.org/pmwiki/pmwiki.php/Main/PhotoDoodleRecognition

Published inErstes Buch

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