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16. Kapitel

Cleene imitiert das große Grinsen, einige Leute kümmern sich erstaunlich wenig um die Ereignisse und ein Konflikt führt zu mehr als einer blutigen Nase.

 

Es gibt Holz, das immer härter wird, je länger es lagert. In trockenen Räumen verwandelt sich die einst lebende Struktur des toten Baums langsam in etwas, dem selbst die schärfste Axt nichts mehr anhaben kann. Türen aus solchem Holz widerstehen den Rammböcken barbarischer Berserker, den Feuerbällen frenetischer Feuermagier und den Geschossen gigantischer Geschütze. Man konnte sich glücklich schätzen, eine solche Tür sein eigen zu nennen.

Diese Tür war das genaue Gegenteil. Es staubte, als jemand gegen sie hämmerte. So etwas konnte selbst bei den härtesten Portalen nach Jahren der Ruhe geschehen. Bei ihnen bestand jedoch der Hauptanteil des Staubs nicht aus der Tür selbst. Durch die Erschütterung aufgeschreckt flohen gleich darauf unzählige Käfer und Würmer ihr Zuhause und hinterließen etwas, das bei einem flüchtigen Blick auch als Perlenvorhang durchgegangen wäre.

„Was’n?“

„Lieferung!“

„Für’n?“

Kurz war Getuschel vor der Tür zu hören, dann meldete sich dieselbe Stimme erneut zu Wort: „Eine neue Leiche, die Gemeinschaft sucht.“

„K’mm’sch’n.“

Die Tür wurde sehr vorsichtig aufgezogen, so dass sich der Griff nicht löste. Der Bewohner der kleinen Hütte, ein zahnloser Greis mit schmierigem, grauen Haar, dass ihm wie ein nasses Tuch auf den Rücken fiel, blinzelte in die etwas helleren Dunkelheit vor seinem Eingang und konnte schließlich vier Gestalten ausmachen, die einen Sarg zwischen sich abgelegt hatten. Sein erster Gedanke war, dass er dieses Modell noch nie in der Nekropole gesehen hatte. Eine Rezension aus erster Hand, die er in der Sarcophagum Nova gelesen hatte, bezeichnete ihn als edle Mogelpackung: schönes Äußeres, wasserabweisend und angenehm zu berühren, im inneren jedoch lieblos gestaltet. Der Greis hoffte innständig, dass er ein wenig Zeit mit dem teuren Kasten aus Holz verbringen können würde, ein Wunsch, der ihm erfüllt werden sollte.

Sein zweiter Gedanke galt den vier gestalten, deren sehr unterschiedliche Größe ihre Arbeit als Sargträger für alle umstehenden interessant machte.

Er war gerade am Überlegen, ob er noch einen dritten Gedanken haben würde, als ihm eine Klinge in die Kehle fuhr und er dazu die Worte „deine Gesellschaft“ hören musste. Der dritte Gedanke drängte sich ihm im letzten Moment auf und ließ ihn vermuten, dass sein Mörder seine Worte vermutlich lustig fand, er selbst aber keinen Witz darin erkennen konnte.

„War das notwendig, Cleene?“

„Wir hatten abgemacht, dass wir alle umbringen, bei denen wir nicht sicher sind, ob wir sie einfach so zurücklassen können.“

„Mal abgesehen davon, dass wir ihn einfach hätten fesseln können, meinte ich deinen Spruch.“

„Ja.“

„Ja, er war nötig?“

„Ja.“

Fidster sah sich hilfesuchend zu Au um, die nur mit den Schultern zuckte. Der Pylonist hingegen ließ die Schultern hängen, denn ihm schwante Böses für ihren Aufenthalt an diesem Ort. Er hatte gewusst, dass Cleene ihren Frust weit streuen würde. Sie hatte es förmlich angekündigt, als sie ihre Kollegen aufgefordert hatte, sie bei einem Besuch ihrer Eltern zu begleiten. Ohne zu wissen, worauf sie sich einließen, hatten alle zugestimmt, um erst im Anschluss zu erfahren, dass Cleenes Eltern in der Nekropole von Morigarten begraben lagen. Jeder von ihnen kannte diesen Ort, keiner von ihnen war jemals dort gewesen. Normale Menschen suchten ihn nicht auf, denn abgesehen von den Leichen vieler Städte und unzähliger Generationen lebte hier nichts, dem man im Dunkeln begegnen wollte. Das Wort „normal“ fasste in diesem Kontext Dinge wie „geht gelegentlich ins Licht“, „isst kein Menschenfleisch“, „geht einem Beruf nach, für den man nicht eingesperrt oder hingerichtet wird“ und „sieht nicht jeden anderen als sein Opfer an“ unter einem frei interpretierbaren Begriff zusammen. Zugegebenermaßen war die Aussage, dass man ihnen „nicht im Dunkeln begegnen wollte“ nur bedingt wahr, da sich berichten zu Folge auch der Thron der Hurenkönigin irgendwo in dem Labyrinth unter der Stadt befand, deren Untertanen vielen einsamen Mitglieder der normalen Gesellschaft im Dunkeln die Stunden versüßten.

„Wir sollten hier nicht so rumstehen“, ermahnte der Professor seine Kollegen und sie begannen den Sarg mühsam und unter großem Staubaufkommen durch den Türrahmen zu quetschen. Zu Aller Erstaunen brach die Hütte bei ihrem ungeschickten Zerren und Schieben nicht zusammen.

„Dann lasst uns mal aufrüsten.“ Cleenes Grinsen war selbst in dem lichtlosen Raum zu erkennen und sie schlug den Sarg auf, um sich sofort auf den Chaosmeißel zu stürzen. Fidster verteilte zuerst einige Pylonensamen und griff erst danach zum Ordnungsmeißel. Der Professor nahm sich ein Gerät, welches er erst am Tag zuvor zusammengeschraubt hatte. Er schwieg sich weiterhin über seine Funktion aus, war aber zuversichtlich, dass es ihnen helfen würde. Das einzige, was Fidster erkennen konnte, war, dass einige Teile des Arkanographischen Thaum-Reflektors den Kern des Geräts bildeten und er auf jegliches Tastenfeld verzichtet hatte, was eine Erleichterung war. Au kramte unter einigem anderen Gepäck nach dem Klanghammer, den sie eingesteckt hatte. Sie behauptete, es wäre eine nützliche Waffe. Sie hatte zu Cleenes Scherz geschwiegen, dass ein Gegner schon sehr nahe herankommen müsste, um überhaupt mit ihm getroffen werden zu können. Fidster hatte sich eines Kommentars enthalten, als er den starren Blick des Professors bemerkt hatte. Seitdem war er eher besorgt, was die Haartanerin tatsächlich mit dem Handgroßen Metallstück anrichten könnte.

„Was geht denn hier vor?“ fragte plötzlich eine junge Stimme von der Tür. Geschlossen drehten sich die vier um und entdeckten einen Mann, dessen hoher Dreispitz ihn als offiziellen Wächter der Stadt Morigarten auswies. Er hielt seinen Wächterknüppel in einer Weise in der Hand, die wohl jedem zeigen sollte, dass nicht mit ihm zu spaßen war. Aber in Anbetracht der Bewaffnung, die die Pylonisten selbst bei sich führten, wirkte es ein wenig kümmerlich.

„Wir erweisen einem Toten unseren letzten Respekt“, log der Professor und es klang sehr überzeugend. Vielleicht wäre er in einer anderen Situation auch damit durchgekommen. Aber die klebrige Spur, die sich vom Eingang bis zu der Leiche des Greises neben dem Sarg hinzog, verringerte seine Glaubwürdigkeit nicht unbeträchtlich. Nach einigen Kopfbewegungen des Schattens im Türrahmen, machte der Wächter einen Schritt in den Raum hinein. „Sie kommen wohl besser alle mit zur …“ Bevor er seinen Satz beenden konnte, fasste ihn die Hand eines zweiten Wächters von hinten an der Schulter. „Nicht so schnell, Mießnimbel?“ Der Angesprochene riss seinen Kopf zurück und betrachtete den Neuankömmling. „Sehen sie die Leiche? Diese Individuen haben offensichtlich nicht die Wahrheit gesagt, womit sie verdächtig sind. Laut Vorschrift 107 sind Verdächtige sofort zur Wache zu eskortieren.“

„Aber Mießnimbel“, erklang die andere Stimme jetzt etwas mitleidig. Der zweite Wächter war offensichtlich älter und damit vermutlich auch erfahrener. „Es gibt Situationen, da muss man die Vorschriften interpretieren, denn man darf niemals vergessen, wo man sich befindet, wenn man sie anwenden will. In diesem Fall zum Beispiel können wir davon ausgehen, dass diese Herrschaften auf jeden Fall unverdächtig sind.“ Der Jüngere wurde ein wenig nach hinten gezogen, widersetzte sich aber seinem Vorgesetzten. „Wie können sie das sagen? Wenn sie die Person nicht selbst umgebracht haben, wissen sie vielleicht mehr darüber.“

Man konnte das Augenrollen förmlich hören. „Mießnimbel, ich weiß ja, dass sie noch sehr jung und ehrgeizig sind. Und auf der Akademie hat man ihnen gewiss den richtigen Geist eingehaucht. Aber ich kann ihnen versichern, dass in der Nekropole niemand schuldig ist, vor allem, wenn er bessere Waffen hat und in der Überzahl ist.“

Der junge Mann schwieg für einen Augenblick, setzte dann aber noch einmal an: „Aber …“

„Kein ‚Aber‘. Wir werden jetzt weiter unsere Runde gehen und sie werden diese Begegnung vergessen.“ Unter einem letzten Zug am Arm stolperte Mießnimbel aus dem Raum zurück auf die Straße. Ein zweiter Dreispitz erschien im Eingang und winkte ihnen. „Nichts für ungut, die Herrschaften. Mein junger Kollege hat sie offensichtlich verwechselt.“ Mit zwei Fingern am Hut grüßte er sie zum Abschied und die beiden entfernten sich. Es war noch ein kurzes „Sollten wir nicht …“ zu hören, dass aber von einer ruhigen, freundlichen Stimme abgewürgt wurde. Obwohl man die einzelnen Worte nicht verstehen konnte, wurde der genervte Unterton ausreichend kommuniziert.

„Was war das denn?“ Fragte Fidster, als sich die vier endlich aus ihrer Starre lösten.

„Etwas, dass uns daran erinnern sollte, dass wir in dieser Gegend und dort, wo wir hinkommen, sehr vorsichtig sein sollten.“

„Der Professor hat Recht. Das da unten ist der verdorbenste Haufen, den man sich vorstellen kann.“

„Das begreife ich ja alles, Cleene. Meine Frage war auch eher, warum man so einen grünen Jungen hier Patrouille laufen lässt.“

Darauf wusste keiner eine Antwort, weswegen sie sich auf den Weg zum Hinterausgang des Hauses machten, der ihren Quellen nach ein direkter Zugang zur Nekropole war und überdies kaum bewacht wurde. Den toten Greis verstauten sie noch schnell im Sarg, nachdem sie auch die letzten Utensilien herausgenommen hatten.

 

Tatsächlich handelte es sich bei dem Eingang um eine enge Wendeltreppe, auf der man nur hoffen konnte, dass einem niemand entgegen kam. Streckenweise mussten sie sich seitwärts bewegen, was für den Professor, der sich zusätzlich bücken musste, beinahe fatale Folgen gehabt hätte, wenn er nicht von Cleene aufgefangen worden wäre. So blieben die einzigen Folgen ein angekratztes Ego und ein paar blaue Flecken, die die Pylonistin ihm beibrachte, weil er sich so ungeschickt anstellte.

Als sie endlich von der letzten Stufe durch einen Vorhang in die Straße dahinter stolperten, wussten sie, dass sie sich mehr Gedanken um ihr Äußeres hätten machen sollen. Selbst Cleene, deren Kleidung selten wirklich sauber und seit kurzem auch noch großzügig mit Blutflecken bedeckt war, stach aus der Menge heraus. Dabei waren es nicht einmal die seltsamen Gerätschaften, die sie bei sich trugen, die die Aufmerksamkeit auf sich zogen. Viele schleppten seltsameres und vor allem wertvolleres durch die Gegend. Woher die Sachen stammten, spielte dabei keine Rolle, nur dass sie bis vor kurzem jemand anderem gehört hatten.

Vor allem war es der Mangel an Löchern in ihrer Kleidung, der auffiel, gepaart mit fehlenden Warzen oder suppenden Hautschäden und einer Hautfarbe, die sich jenseits der Grauskala bewegte, wie es hier unten üblich war.

„Hallo“, versuchte Au es mit einer Kontaktaufnahme, aber ihre Stimme entsprach dem Blassblau ihrer Haare und die Blicke, die sie dafür erntete waren wenig freundliche und ließen kaum Zweifel daran aufkommen, wie die Legenden über Werwölfe entstanden waren (das heißt, die Legenden, die im Umlauf waren, bevor man echten Werwölfen begegnete).

Anfänglich gelang es ihnen noch, sich durch die Menge fortzubewegen, aber bald wurde der Auflauf um sie herum immer dichter, bis auch dem letzten unter ihnen (Au) klar war, dass dies wenig mit Zufall und viel mehr mit einer Festnahme zu tun hatte. Die Offiziellen ließen auch nicht lange auf sich warten.

„Fremd hier, nich‘?“ fragte ein Mann neben Cleene, die ihn böse anfunkelte. Der Professor, der sich umblickte und sechs weitere Leute ausmachte, die sich hauptsächlich durch ihr selbstbewusstes Auftreten und die mit Nägeln versehenen Keulen von den anderen Umstehenden unterschieden, übernahm sofort die Verhandlungen.

„Gehe ich recht in der Annahme, dass sie uns vor den Nekropopen führen wollen?“

Der angesprochene verzog das Gesicht und Fidster konnte unter den Narben, Furunkeln und Warzen nicht erkennen, ob es aus Ekel oder Überraschung war.

„Habt ihr das gehört? Das lange Elend schwatzt geschwollen. Ja, du Schwuchtel, da werden wir euch hinbringen. Her mit euren Sachen.“ Er schwang seine Keule von der Schulter und ließ sie kurz vor dem ersten Nagel in seine Hand fallen.

„Wir kommen freiwillig mit, es besteht also keine Notwendigkeit, uns zu bedrohen. Aber unsere Ausrüstung werden wir selber tragen. Trotzdem: herzlichen Dank.“

„Das war kein Angebot. Her mit dem Zeug.“

„Ich sehe, sie haben die Befürchtung, dass wir eine Gefahr darstellen könnten, ich kann ihnen jedoch versichern, dass wir nur zu Forschungszwecken in diese schöne Stadt gekommen sind.“

„Willst du mich verarschen?“

„Keineswegs, guter Mann. Aber als Zeichen, dass wir ihnen kein Leids zufügen wollen, werden meine beiden Leibwächter ihnen ihre Schwerter überreichen.“ Er winkte Cleene und Fidster, deren Reaktion wie erwartet aus Zähneknirschen und augenrollen bestand. Fidster konnte nur mühsam ein „Warum nur?“ unterdrücken, als er den Waffengurt abschnallte und überreichte, Cleene hingegen setzte ein wissendes Grinsen auf, welches dem Mann, der ihre Waffe empfing einen Blick zu seinem Vorgesetzten abnötigte.

„Und jetzt auch den Rest.“

„Nein, Herr Wachtmeister. Dies sind wertvolle Instrumente, die wir in den Dienst des Nekropopen stellen wollen. Und niemand von ihnen wird etwas damit anfangen können, außer sie zu verkaufen oder in alle Einzelteile zu zerlegen. Beides ist jedoch nicht im Interesse ihres Herrschers und ich gehe doch davon aus, dass sie nicht den Nekropopen verärgern wollen.“

„Was den Nekropopen verärgert, entscheide ich hier.“

„Soll ich sie zitieren?“

„Der Professor meint, ob sie möchten, dass er ihre Worte vor ihrem Herrscher wiederholt“, erläuterte Fidster, sobald er die Verwirrung im Gesicht des Mannes entschlüsselt hatte.

Au erinnerte sich später daran, dass die Situation in diesem Moment leicht hätte entgleisen können, aber offensichtlich besann sich der Anführer des kleinen Ordnungstrupps eines Besseren. Vermutlich ging ihm rechtzeitig auf, dass jeder der umstehenden ein Informant des Nekropopen sein konnte und vermutlich auch war. Hätte er die Fremden einfach niedergeknüppelt, hätte mit großer Sicherheit jemand seinem Chef mitgeteilt, dass er sich eigenmächtig verhielt, um sich zu Ungunsten der Führungseliten zu bereichern. Natürlich hätte das voll und ganz der Wahrheit entsprochen, es gab aber Grenzen innerhalb dieser ein solches Handeln übersehen wurde und diese waren durch das lange Gespräch überschritten.

Und so kam es, dass die vier Pylonisten in Begleitung der Wächter immer tiefer in die Nekropole geführt wurden.

„Was sollte das?“ flüsterte Cleene dem Professor zu, als sie eine kleine Pause machten, weil ihre Bewacher einen Streit schlichten mussten.

„Ich verstehe deine Frage nicht.“

„Dass wir den Nekropopen sehen wollen? Der Typ wird bestimmt von zich Leuten bewacht. Und der lässt uns bestimmt nicht mit der Ausrüstung abziehen. Da hätten wir uns besser da oben den Weg freikämpfen können.“

„Es ist ganz einfach, meine Liebe. In der Begleitung dieser unehrenwerten Herren gelangen wir ungehindert bis in die Nähe der Katakomben. Wir haben von Anfang an befürchtet, dass wir uns zu irgendeinem Zeitpunkt Feinde machen würden. Ich befürworte ein Vorgehen, dass uns diese Feinde so spät wie irgend möglich auf die Fersen bring. Wie du ja bereits selber festgestellt hast, halten die Energiezellen der Meißel nicht besonders lange. Nur eins: Wenn ich einen Pylonen werfe, richte den Strahl des Meißels darauf und veranlasse Fidster, seinen eigenen vor uns auf die Erde zu zielen.“

Cleene kam nicht mehr dazu, eine weitere Frage zu stellen. Ihre Begleiter schoben sie weiter und bald darauf gelangten sie in einen Raum, der entfernt an einen Thronsaal erinnerte. Es war vor allem der Thron, der diesen Eindruck aufkommen ließ. Und natürlich die Größe der Höhle. Auch die Säulen trugen sicherlich dazu bei. Wäre jedoch nicht der Thron gewesen, man hätte diesen Raum für die Mischung einer riesigen Schrotthalde und eines Flüchtlingslagers halten können, wobei bei beiden vermutlich mehr Wert auf Ordnung und menschenwürdige Umstände gelegt worden wäre.

Jemand hatte Felsnadeln und herabhängendes Gestein mit Mauerwerk und Kunstwerken aus Metall und Keramik zu Stützpfeilern umfunktioniert. Fidster ging davon aus, das es sich um Kunst handeln musste, denn er bezweifelte, dass es weg konnte. Auch hätte kein Mensch, dem es um die reine Funktionalität gegangen wäre, auf diese Weise gebaut. Die Höhle selbst war vermutlich mehrfach erweitert worden und ohne die Säulen über kurz oder lang in sich zusammengestürzt.

Der Thron selbst stand auf einem Felsvorsprung, den man über in den Stein gehauene Stufen erreichen konnte. Wie alles in diesem Raum wirkte er wie das Werk eines geisteskranken Uhrmachers riesiger Turmuhren, der vergessen hatte, dass das Gehäuse um das Uhrwerk herum gehörte. Ein zweiter Blick verriet jedoch, dass dieser Wahnsinnige in seinem Irrsinn trotzdem auf die feinsten Materialien zurückgegriffen haben musste, wenn es sich nicht um Goldfarbe und Edelsteine aus Glas handelte. Der Ruf des Nekropopen eilte ihm jedoch voraus und ließ vermuten, dass er sich tatsächlich auf einer der wertvollsten Sitzgelegenheiten der bekannten Welt niederließ, zumindest, was den rein materiellen Wert anging.

Das alles waren jedoch nur Vermutungen, denn bis auf Teile der Lehne und Armstützen war wenig von dem Thron zu sehen.

Der Nekropope erwartete sie und füllte seinen Thron auf eine Weise aus, die vermuten ließ, dass er sich nur mit Hilfe mehrerer seiner Diener in ihn hatte hineinquetschen können, wenn er ihn überhaupt noch verlassen konnte. Letzteres war wahrscheinlicher, denn die Möglichkeit, dass beim Setzen die giftig-weiß schimmernde Soutane zerrissen wäre, war zu sehr groß. Auf dem Kopf trug er eine Schwarze Mitra, während sein grauer Vollbart vom Fett der Essensreste glänzte.

Neben ihm standen zwei Diener, die ihn abwechselnd fütterten und putzten, von hinter dem Thron starrte ihnen ein kahlköpfiger Mann entgegen, dessen schwarze Robe unerwartet sauber und heile war und ihnen ‚Magier‘ entgegenschrie. Seine Anwesenheit relativierte die Bedrohung durch die Anwesenheit der vielleicht zwanzig bewaffneten und eines Hofstaats, der an die dreihundert zählen musste.

„Wir sind so was von gebeischlaft“, murmelte Cleene, was Fidster trotz des Ernstes der Situation ein Lächeln abzwang.

Eine kleine Gauklergruppe zog sich an die Ränder zurück und machte ihnen den Weg zum Thron frei.

„Kommt euch das auch ein wenig sehr Klischeebeladen vor? Ein dicker Boss, ein schlanker Magier als Berater, Schausteller, die mit ihrer Aufführung aufhören, sobald man den Saal betritt und ausgehungertes Fußvolk?“

„Was erwartest du, Fidster? Das ist der Hof eines Bettlerkönigs. Es gehört zur Berufsbeschreibung.“

„Ruhe! Verneigt euch vor dem Nekropopen!“

Der Professor deutete ihnen, der Aufforderung nachzukommen und so verharrten sie wenig später kniend und mit gesengtem Haupt in der Glorie des Herrschers der Beutelschneider, Bettler und Beischläferinnen.

„Wer seid ihr und was wollt ihr in der Nekropole?“ fragte eine Stimme, die eher von jemand schlankem, stehenden zu kommen schien.

„Wir sind eine Gruppe renegater Forscher, die auf der Suche nach Erkenntnis an diesen heiligen Ort gekommen sind.“

„Renegat hört … huoh … sich gut an“, ächzte eine andere Stimme. „Und welche … huoh …. Erkenntnis … huoh … hofft ihr zu erhalten?“

„Über das Leben nach dem Tod.“

Ein Raunen ging durch den Saal, es war jedoch nicht, wie man erwartet hätte, ehrfurchtsvoll, sondern eher belustigt.

„Da seid ihr nicht die ersten. Und ich kann euch sagen, dass ihr nichts Neues erfahren werdet, dass uns nicht bereits bekannt ist“, sagte die dünnere Stimme.

„Das … huoh … einzige Weiterleben nach dem … huoh … Tod … huoh … liegt in den Knochen.“ Au wagte, ihren Kopf ein Stück zu heben, und erkannte erst jetzt, dass das, was sie bisher für einen Felsvorsprung mit einem Thron darauf gehalten hatten, eigentlich ein Haufen durch große Hitze verschmolzener Knochen war. Es schauderte sie und ihr Haar wurde auf einen Schlag fast grau.

„Daher werdet ihr sicher verstehen, dass eure Suche vergeblich wäre. Wir sind aber keine Unmenschen und gewähren euch Asyl in unserer schönen Stadt. Als kleines Entgegenkommen erwarten wir jedoch von euch, dass ihr uns eure Ausrüstung aushändigt.“

Der Kreis um die vier wurde augenblicklich enger.

„Die fackeln nicht lange.“

„Ich gebe zu, dass ich ein wenig mehr Entgegenkommen erwartet hatte, Fidster.“

„Entgegenkommen? So schnell ist mir noch kein Plan um die Ohren geflogen. Was jetzt?“

„Cleene? Jetzt!“ Der Professor erhob sich und warf in der Bewegung einen Pylonensamen in Richtung der Decke. Die Pylonistin blickte kurz der Bewegung des Professors hinterher, rollte sich auf den Rücken und feuerte ihren Chaosmeißel. „Nicht aufhören.“

„Ergrei … huoh … ft sie!“ erscholl die Stimme des Nekropopen und seine Wächter begannen ihre Knüppel zu schwingen. „Au, ich sage es nur ungerne, aber deine Zeichnungen sind unausstehlich und die Seidenbrigade ist ein Haufen frigider Schlampen“, brüllte der hagere Mann der Haartanerin zu.

Aus Haarfarbenwechsel von Grau zu Rot war so abrupt, dass die Wächter zurückschreckten.

„Sie sind ein ekelhafter Mistkäfer“, brüllte die kleine Frau und griff in ihre Rocktasche. Der Professor deutete jedoch nur mit ruhiger Miene auf die Schläger um sie herum und Au hielt inne. Mit Wutverzerrtem Gesicht nickte sie ihm zu und hielt das kleine Hämmerchen über ihren Kopf.

„Bei der Macht von Klaatu Barada Nikto!“ Ihr Schrei schmerzte geringfügig mehr in den Ohren der Anwesenden als der Donnerschlag, der ihm folgte. Als die Zuschauer die Hände wieder von den Ohren nahmen, hielt die Haartanerin keinen Klanghammer mehr in der Hand, sondern eine Waffe, deren Hammerkopf doppelt so groß war wie der Kopf seiner Trägerin und dessen Stiel in etwa ihrer Höhe entsprach. Wie sie es fertigbrachte, ihn zu schwingen und nicht von der Wucht durch die Gegend geschleudert zu werden, blieb auf ewig ein Geheimnis des haartanischen Volkes und Fidster verpasste in seiner Verwunderung beinahe seinen Einsatz. Er richtete seinen Ordnungsmeißel auf den Boden vor ihnen und die ganze Höhle begann zu vibrieren. In wie weit es ihnen jedoch helfen sollte, wenn sie die Decke über sich zum Einsturz brachten, war ihm nicht ganz klar. Auch glaubte er nicht, dass ein einzelner großer Hammer ihnen die Armee aus Dieben und Huren vom Hals halten würde, gleichgültig, wie beeindruckend er war – und Mann, war er beeindruckend.

All seine Sorge verflog jedoch in dem Moment, als sein Gehirn hinter den Augen zu explodieren drohte und er den Meißel fallen ließ, der glücklicherweise auf Automatik gestellt war. Der Strahl traf einige Gebeine des Knochenhaufens und kehrte die Verschmelzung um. Hätten seine Sinne nicht revoltiert, er hätte bemerkt, dass sein Sturz auf die Knie weniger schmerzhaft war, als er hätte sein müssen.

Aber so plötzlich die Schmerzen gekommen waren, waren sie auch wieder vorbei. Er schüttelte den Kopf und sah sich um, um im Zweifelsfall einem Keulenhieb ausweichen zu können. Dabei bemerkte er mehrere Ungereimtheiten. Die erste war sicherlich der Ordnungsmeißel, der sich zitternd von der Erde entfernte und mit jedem Blinzeln einen Finger an Höhe gewann. Fidster griff panisch danach und spürte, wie auch seine Kleidung einem unnatürlichen Drang zur Decke nachgab. Als nächstes fiel ihm auf, dass der offensichtliche Magier mit zitternden Armen und einem starren Blick vor seinem Nekropopen stand, der wimmernd versuchte, sich aus seinem Thron zu schälen. Die Augen des Magiers fixierten etwas hinter Fidster. Er wirkte sehr angestrengt, vermutlich aufgrund eines Zaubers, den er zu halten versuchte. Dass ihm dabei Blut aus der Nase lief, verhieß nichts Gutes für ihn. Vermutlich war er auf stärkeren Widerstand gestoßen, als er erwartet hatte oder bewältigen konnte.

Fidster folgte dem Blick des Magiers und traf auf den Professor, der ähnlich Starr im Zentrum des Chaos um ihn herum stand (hauptsächlich verursacht von einer rothaarigen Haartanerin mit einem riesigen Hammer), dabei ähnlich konzentriert wie der Magier wirkte, wenn auch weniger angestrengt. Dann sah Fidster um sich herum Gegenstände in die Luft steigen und er erinnerte sich an seine Aufgabe. Erneut schoss er einen Strahl aus seinem Meißel und Augenblicklich ließ der Sog an seiner Kleidung nach.

Auch die Kämpfe um sie herum verloren langsam an Heftigkeit. Einmal musste Fidster noch einer Keule ausweichen, bevor der Angreifer von einem Hammer durch die Gegend geschleudert wurde.

Dann war alles still. Bis auf die Schreie, Hilferufe und Flüche, die den Saal in einen Sturm der Kakophonie stürzte. Gut, es war nicht wirklich still, aber der Kampf war vorbei und in den Köpfen der Pylonisten konnte man dies mit Stille gleichsetzen. Zu diesem Eindruck trug sicherlich auch bei, dass sie als einzige im Umkreis von zwanzig Schritten noch auf der Erde standen, während sich alle andere, die sie zuvor umringt hatten, langsam an der Decke auf die Füße rappeln mussten. Auch der Magier war inzwischen oben gelandet, rappelte sich jedoch nicht auf. Nur der Nekropope hing immer noch in seinem Thron eingeklemmt und blubberte vor sich hin.

„Woher wussten sie, dass das passiert? Das ergibt doch überhaupt keinen Sinn?“

„Zufall. Ich habe einmal einen Bericht von zwei Pylonisten gelesen, die ihrer Quote noch mehr hinterher rannten als ihr. Und du hast Recht, ich habe bisher keine Erklärung für diesen Effekt finden können.“

„Warum ist sowas dann nicht allgemein bekannt?“

„Verschlusssache. Oder glaubst du, dass die ÖfAFödaBI riskieren möchte, dass sowas an die Öffentlichkeit gelangt?“

„Und wie kommen wir hier weg?“ frage Cleene, die immer noch auf der Erde lag und dabei zusah, wie sich langsam die Energiezelle ihres Chaosmeißels entleerte.

„Erst einmal musst du aufstehen. Danach werden wir uns langsam durch die Menge dort drüben zum Ausgang begeben und dabei hoffen, dass wir nicht angegriffen werden.“

„Das klingt nach einem wohldurchdachten Plan, Prof.“ Der dünne Mann zuckte bei der Abkürzung seines Titels, enthielt sich jedoch eines Kommentars. Stattdessen half er zuerst Cleene auf die Beine und ging anschließend zu der schnaufenden Au hinüber, deren Haar zwar nur noch Lila war, deren Augen ihn jedoch immer noch böse anfunkelten.

„Es tut mir Leid, was ich gesagt habe, Frau Weh. Ihre Zeichenkunst hat mich bereits mehrfach zu der Überlegung bewogen, ihre Kunstwerke an die Akademie zu schicken. Und ich versichere ihnen, dass ich trotz des unglücklichen Vorfalls und meiner unwürdigen Worte nichts als Respekt für die disziplinierten und aufopferungsvollen Frauen der Seidenbrigade empfinde. Mein verhalten vor wenigen Augenblicken ist unentschuldbar.“

Fidster war sich später nie sicher, ob Aus Verwandlung zurück in das blauhaarige Mädchen, welches ihnen so vertraut war, mehr aus Überraschung über den respektvollen Ton oder doch auf Grund der Worte stattfand. Mochte es sein wie es wollte, Aus Hammer wurde wieder kleiner und ihre Haare blau.

„Jetzt können wir uns aufmachen.“ Damit begann der Professor gemessenen Schrittes auf den Ausgang und den versammelten Mopp aus Bettlern und Huren zuzugehen. Er hielt auch nicht inne, als er den ersten Mann erreichte, der nur einen Schritt zu Seite machte, ohne ihn dabei anzusehen. Wie alle anderen auch, würdigte er die Eindringlinge keines Blickes, sondern betrachtete grinsend die an der Decke stehenden Pulk der Höflinge und den blauen Energieball, der sich immer noch nicht zu einem Pylonen geformt hatte. Der Kampf selbst schien nichts mit ihnen zu tun gehabt zu haben, aber schwerkraftverwirrte Räumlichkeiten waren eine Attraktion, die man sich nicht entgehen lassen konnte. Tatsächlich schien sich das Spektakel bereits herumzusprechen, so dass weitere Einwohner der Nekropole auf den Saal zuströmten.

„Und was jetzt?“ fragte Cleene, als sie und Fidster als letzte am Ausgang der Höhle eintrafen und nicht sicher waren, was sie mit ihren Meißen tun sollten.

„Das ist eigentlich ganz einfach. Wir müssen Energie sparen. Die Meißel sind derzeit unsere einzigen Waffen. Außerdem haben wir immer noch eine Aufgabe zu erfüllen, selbst wenn wir sie uns selbst gestellt haben, was bedeutet, dass wir uns in der gebotenen Eile unseren Ziel nähern sollten.“

„Im Klartext?“

„Ausschalten und rennen?“

 

 

Verwendete Tropen:

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x http://tvtropes.org/pmwiki/pmwiki.php/Main/CoffinContraband
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x http://tvtropes.org/pmwiki/pmwiki.php/Main/BystanderSyndrome
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Abgelehnte Tropen:

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