Das Umschubsen von Kühen führt zu einer Vorladung vor dem Obermotz, was ernste Mienen und das Parkverhalten von Diven zur Folge hat.
Awonk hatten sowieso auf ihrer Route gelegen. Nur war der Plan gewesen, diese Stadt erst aufzusuchen, wenn sie die Pylonenkette hierher verlegt hatten. Nun waren sie vorgeladen worden und der Professor würde sich gezwungen sehen, erneut Formulare auszufüllen, um eine weitere Verzögerung zu erklären.
Sobald man die Stadtmauer hinter sich ließ, blieb es nicht aus, dass man den Reichtum der Stadt bemerken musste. Die Häuser waren in gutem Zustand und ausnahmslos aus Stein und Ziegeln gebaut. Kaum eines von ihnen war ohne einen Erker, in dem eine Statue untergebracht war. Figuren und Gesichter zierten die Dachfirsten und Seiten der Häuser, aufwändige Bilder verzierten die Wände dazwischen.
Was aber besonders ins Auge fiel, waren die vielen Gefährte, die an jeder Ecke, jedem Straßenrand und um jeden Brunnen herum geparkt waren. Ein paar magichanische Exemplare waren dabei, einige veraltete nekromantisch betriebene Wagen fielen in ihrer düsteren Schwärze ins Auge, aber vor allem handelte es sich um Hybridfahrzeuge, die sich ihre Batterien an Pylonenstrecken auffüllen konnten und auf diese Weise unabhängig auf den Straßen dieser Stadt blieben. Wo sie in diesem Chaos den überdimensionierten Einsatzwagen parken sollten, um der Vorladung Folge zu leisten, konnten nicht einmal die Götter sagen, an die niemand mehr glaubte.
Trotzdem fuhr der Professor unbeeindruckt weiter, ließ Au zweimal nach dem Weg fragen und erreichte schließlich das Rathaus, wo sich gerade drei Wagen auf den Weg machten und so einen Platz direkt vor dem Eingang freigaben. Der Professor beschleunigte und ließ ihr Gefährt in die Lücke schlittern. Grinsend drehte er sich zu seinen Mitfahrern um, die sich mühsam aus verschiedenen Positionen des Unwohlseins lösten.
Bevor sie das Haus betraten löste Cleene grummelnd bei einem Parkkobold ein Ticket für zwei Stunden, in der Hoffnung, dass ihr Aufenthalt nicht zu lange andauern würde.
„Dies ist also die Übeltäterin“, begrüßte sie neunundsiebzig Minuten später der Amtspräsident. Er vereinte in sich die Funktion des Bürgermeisters, Polizeichefs und Schatzmeisters und gab seiner Stellung in einer lächerlich bunten Kleidung Ausdruck, die in ihrer Mischung aus Glitter, Goldstoff und darin als Karomuster eingelassenen Lila-, Rot- und Grünfäden, eine Wohltat für die Augen war, sobald man sie abgewendet bekam. Der Gesamteindruck wurde durch den übermäßig hohen Dreispitz und eine Schleppe in demselben Muster ein wenig verbessert, weil man sich einreden konnte, dass der Mann ein Gesamtkunstwerk sein musste. Ihr Gegenüber, der ihnen von seinem Personal nur liebevoll als der Obermotz angekündigt worden war, komplettierte seinen Auftritt mit einem brusthohen gewundenen Stab aus giftgrün eingefärbten Holz.
Cleene konnte keine Antwort hervorbringen, weswegen der Obermotz sich Au zuwandte. „Oder sind sie es?“ Obwohl die Frage in einem jovialen Ton gestellt worden war, bestand Aus Antwort, wie nicht anders zu erwarten gewesen war, nur aus einer erhöhten Durchblutung ihrer Wangen.
Schließlich stieß der Professor Cleene an und es gelang ihr, ihren Kopf zu einem Nicken zu zwingen. Noch auf dem Flur vor seinem Amtszimmer hatte der Professor sie instruiert, klare Antworten zu geben, bloß nicht zu lügen und vor allem sich nicht dumm anzustellen. Sie hatten ausreichend Zeit gehabt, sich über das weitere Prozedere Sorgen zu machen und nach einer Strategie zu suchen. Aber am Ende waren sie immer wieder zu den Ermahnungen des Professors zurückgekehrt, was seine ständigen Wiederholungen nicht besser gemacht hatte. Fidster hatte sich nur selten in das Gespräch eingemischt und lieber Au dabei zugesehen, wie sie die Steckbriefe an der gegenüberliegenden Wand betrachtet hat. Fast wäre er aus purer Langeweile selber aufgestanden, um ihr dabei Gesellschaft zu leisten, blieb aber verdutzt sitzen, als die Haartanerin einen der Zettel vorsichtig von der Wand löste, sauber zusammenfaltete und in ihre Umhängetasche steckte. Periodisch wiederholte sie diesen Vorgang, bis sie vielleicht ein Drittel aller Steckbriefe eingesackt hatte und sich der Stadtkarte zuwandte. Als sie ihren Kopf schieflegte fürchtete er schon, sie würde auch diese abnehmen, sollte ihre nächsten Schritte jedoch niemals erfahren, weil sie in diesem Moment von einem der jungen Beamten hereingerufen worden waren. Wie alle seine Kollegen hatte er einen rosa Overall getragen, dessen vielleicht eine Elle abstehenden Hüften später für lange Diskussionen unter den Pylonisten sorgen sollten.
„Wachtmeister Ringelwipp hat einen sehr ausführlichen Bericht zu dem Verbrechen verfasst. Kopien liegen vor ihnen. Ich werde ihn also nicht vorlesen müssen. Allerdings sollten wir ihn gemeinsam durchgehen, damit sie sich dazu äußern können. Beginnen wir mit Punkt 2. Der ganze Einleitungskram interessiert jetzt nicht. Der sehr verehrte Wachtmeister schreibt hier: ‚Die ersten Opfer fand ich auf der Südweide des Zirbeler-Toms. Sie lagen auf der Seite und muhten kläglich‘. Ich lese dies nur vor, damit wir einen Kontext haben.“ Der Obermotz stand auf und bewegte sich, sein Protokoll in der Hand, mit zügigen Schritten in Richtung der Tür. „‘Nächstens hörte ich laute >Warum nur? Warum?< rufe‘. Möchten sie dazu etwas sagen?“ Damit schwang er die Tür auf und schritt hinaus. Die vier zurückgelassenen sahen sich verwirrt an, bis aus dem Gang ein lautes „Keiner? Oder stammte das gar nicht von ihnen?“ zu hören war. Sie sprangen auf und folgten dem seltsamen Mann, der bereits einige Schritte auf dem Flur zurückgelegt hatte. Der Obermotz hielt auch nicht inne, als Cleene antwortete: „Es ist so ein Tick von Fidster.“
„Hey!“
Kurzes Rascheln war zu hören. „Ah, der männliche Pylonist. Ein Tick also. Sagen sie Herr Fidster: wie oft sehen sie sich gezwungen, ‚Warum nur? Warum?‘ zu rufen?“
„Ich weiß nicht. Ich glaube nicht, dass es ein Tick ist. Ich sage es halt manchmal, wenn etwas katastrophal aus dem Ruder läuft.“
„Und empfanden sie, dass an dem besagten Abend etwas katastrophal aus dem Ruder gelaufen ist? Nein, sie brauchen jetzt nicht darauf zu antworten. Es war nur wichtig, dass keine Unklarheiten bestehen bleiben. Weiter im Text. Der Wachtmeister schreibt hier in Punkt drei, dass er sehr bald danach auf Frau Cleene und Herrn Fidster gestoßen sei, und nur gerade noch verhindern konnte, dass die Angeklagte eine weitere Kuh umstieß. Möchten sie etwas dazu sagen?“
Cleene schüttelte den gesenktem Kopf, während Fidster sich genötigt sah, sich zu verteidigen: „Ich hatte auch schon die ganze Zeit versucht, sie davon abzuhalten …“
„Außer wenn sie gerade ‚Warum nur? Warum?‘ gerufen haben?“
„… mhm auch dann.“
„Und warum ist ihnen dies nicht gelungen? Wachtmeister Ringelwipp notierte, dass er Frau Cleene nur am Arm zu fassen brauchte, um sie von ihren Untaten abzuhalten.“
„Meinen größten Respekt gegenüber dem mutigen Wachtmeister. Sie haben ja keine Ahnung, was Cleene bereits mit Leuten angestellt haben, die sie am Arm angefasst haben.“
„Hey!“ Cleenes Ausruf war ein wenig leiser als Fidsters, was aber vor allem daran lag, dass sie fast hinter dem Obermotz hinterherrennen mussten, um mit ihm Schritt zu halten. Cleene war noch nicht wieder ganz auf dem Damm.
„Sie hatten also Angst. Nun, da kann man nichts machen, ich hätte allerdings mehr erwartet. Auf jeden Fall kam es nach dem, was im Protokoll steht, zu einem kurzen Austausch zwischen Frau Cleene und dem Herrn Wachtmeister. ‚‘Nabnd, Herr Wachtelmeister‘, hat sie angeblich gesagt, gefolgt von albernem Gekicher. Frau Cleene hätte leicht geschwankt und einen grenzdebilen Eindruck gemacht. Grenzdebil. Ein schönes Wort. Schlottermeier! Ist ‚Grenzdebil‘ für den offiziellen Sprachgebrauch erlaubt?“
Aus einem Zimmer, an dem sie gerade vorbeikamen, stürmte ein Mann im rosa Overall heraus, salutierte indem er sich mit der linken Hand auf den Kopf klopfte und antwortete zackig: „Nein, Herr Obermotz.“
„Dann fügen sie es hinzu, wenn sie so freundlich wären. Wir wollen ja niemandem Schwierigkeiten bereiten, nur weil er unerlaubte Beschreibungen verwendet.“
„Ja, Herr Obermotz, sehr gerne.“
Der bunte Mann nahm wieder Geschwindigkeit auf, wobei sie aus dem dezent grünen Flur in einen rotgestreiften abbogen.
„Wachtmeister Ringelwipp schreibt weiterhin: ‚Angesprochen auf umgestoßenen Kühe antwortete die besagte Frau, sie hätte genießt, und plötzlich wäre eine nach der anderen umgekippt. Gleich darauf korrigierte sie sich jedoch und behauptete, ein Hornissenschwarm wäre vorbeigeflogen und hätte sie alle totgestochen‘. Der gute Wachtmeister hat daraufhin sicherheitshalber die Kühe auf Lebenszeichen untersucht. Ich frage mich, warum er das getan hat.“ Der Obermotz blätterte kurz zurück. „Hier schreibt er noch, dass sie gemuht haben. Ach, sei es wie es will. Seinem Bericht nach hätten sie weitere Behauptungen aufgestellt“, damit drehte er sich kurz um und warf Cleene einen prüfenden Blick zu, „denen er nachgegangen ist, um sie ausschließen zu können. Er notiert, dass weder eine Windhose, ein Erdbeben, ein Vulkanausbruch oder Kometeneinschlag nachgewiesen werden konnten. Noch konnten Spuren von Teleportation, Telekinese, Quantenmagie oder anderen Zaubern festgestellt werden.“ Ruckartig blieb er vor einer weiteren Tür stehen und winkte mit seinem Stab einen Mann daraus hervor. „Pinkelwiel, haben sie den Bericht zu allen Phänomenen, die wir für die letzten drei Tage auf der Südweide des Zirbeler-Toms ausschließen können?“
Auch dieser Mann kam eilfertig vor sein Büro und salutierte mit einem Schlag auf den Kopf. „Ja, Herr Obermotz.“
„Haben sie etwas gefunden, das geschehen sein könnte.“
„Ein Geschwader geflügelter grüner Gnome mit mutierten Schwingen, fehlgebildeten Händen und vollgepumpt mit Frühr wäre in der Lage gewesen, die Kühe umzuwerfen. Wir könnten sie nicht nachweisen und sie hätten schnell genug in die Dunkelheit verschwinden können, so dass Wachtmeister Ringelwipp sie nicht zu Gesicht bekommen hätte, Herr Obermotz.“
„Ach. Grüne Gnome sind wirklich eine Plage. Zu dieser Jahreszeit tauchen sie jedoch so gut wie nie auf. Denken sie bitte daran, Pinkelwiel, dass wir etwas gegen das Drogenproblem auf unseren Straßen unternehmen müssen. Vor allem das private Kochen von Frühr muss unterbunden werden.“
„Jawohl, Herr Obermotz.“
Und weiter ging es in einen roten Flur mit lila Tupfen.
„Wir können also so gut wie alle Ausreden, die Frau Cleene eingefallen sind oder noch einfallen könnten, ausschließen.“
„Und wenn es doch grüne Gnome waren?“ fragte Cleene wenig hoffnungsvoll.
„Machen sie sich nicht lächerlich. Grüne Gnome sind allergisch gegen Frühr. Aber schön, dass sie sich in die Verhandlung einbringen. Was mich nämlich vor allem interessieren würde, ist, wie sie es geschafft haben, die Kühe tatsächlich zum Umfallen zu bringen. Entgegen der landläufigen Meinung ist es ausgesprochen schwierig, eine Kuh zu Fall zu bringen. Und vor allem neigen die Kühe nicht dazu liegen zu bleiben.“
Cleene musste einen Augenblick überlegen, bevor sie antwortete: „Ich habe keine Ahnung.“
„Sie haben“, der Obermotz blätterte in seinen Zetteln, bis er das fand, was er gesucht hatte, „42 Kühe umgeworfen und wissen nicht, wie sie das gemacht haben? Das kann ich nicht glauben, spätestens nach der zweiten hätten sie eigentlich von ein paar wütenden Rindviechern niedergetrampelt werden müssen.“
„Entschuldigen sie, wenn ich mich einmische, Herr Obermotz, aber sie haben Cleene nicht erlebt, als sie am nächsten Morgen aufgewacht ist. Sie konnte sich tatsächlich an nichts mehr aus der Nacht erinnern.“
„Und sie waren?“
„Fidster.“
Der bunte Mann warf dem Pylonisten einen forschenden Blick zu, er vermutlich zu erkunden suchte, warum er keinen Nachnamen besaß. Gleichzeitig schien er sich wieder an ihn zu erinnern.
„Vielleicht können sie ja ein wenig Licht in das Dunkel bringen.“ Damit drehte er sich wieder ab und begann einen Gang mit brauner Decke, mauve-farbenen Bodenfliesen und einer unaussprechlichen Blümchentapete entlang zu gehen.
„Ähm, ja, ihre Technik bestand darin, ein Seil über sie zu werfen, es so zu ziehen, dass es um die Beine hing, dann der Kuh irgendetwas ins Ohr zu flüstern und als letztes am Seil zu ziehen und gleichzeitig den Oberkörper von sich wegzuschieben.“
„Und was Frau Cleene gesagt hat, haben sie nicht hören können, wie ich annehme.“
„Es tut mir leid, Herr Obermotz. Aber nachdem ich ihr bei der ersten Kuh dazwischen gekommen bin, hat sie mir auf unmissverständliche Weise zu verstehen gegeben, dass sie mich nicht in der Nähe haben wollte.“
„Können sie etwas präziser werden, wie sie es ihnen verständlich gemacht hat?“ fragte der Obermotz, während er in einem Zimmer verschwand und kurze Zeit später mit einem Buch in der Hand wieder herauskam.
„Sie hat den Chaosmeißel auf mich gerichtet.“
„Einen Chaosmeißel, soso. Und sie sind der Meinung, dass sie ihn gegen sie verwendet hätte?“
„Nun ja, sie war in einer sehr seltsamen Stimmung.“
„Sie sprechen gerne in Rätseln, nicht wahr, junger Mann?“
„Wenn ich auch einmal etwas dazu sagen dar.“
„Nur zu, tuen sie sich keinen Zwang an. Alle sollen gehört werden.“
„Danke, Herr Obermotz. Was Fidster so wenig aussagekräftig zu erwähnen versucht, ist ein kleines Dilemma, dem sich Cleene ausgesetzt sieht. Sie müssen verstehen, dass vor kurzem jemand unserer Reisegefährtin einen Armbrustbolzen in den Kopf geschossen hat, was zu unerwarteten Nebenwirkungen in ihrem Verhalten führte.“
„Ich gehe davon aus, dass sie mir gleich erklären werden, wie es kommt, dass Frau Cleene noch unter den Lebenden weilt und welche Nebenwirkungen sie meinen.“
Der Professor erklärte es ausschweifend. Cleene hätte es vermutlich in zwei Sätzen abgetan, schon weil es ihr peinlich war und sie sich nicht daran erinnern konnte – ein Zustand, der sich in ihrem Leben regelmäßig zu wiederholen schien. Fidster hingegen hätte die ganze Angelegenheit ausgeschmückt und seine Partnerin dabei nicht gut aussehen lassen. Trotzdem wäre er innerhalb von zwei Minuten mit seinem Bericht zu einem Ende gekommen. Au wäre vor allem erst einmal rot geworden, bevor sie einige leise, belanglose Bemerkungen gemacht hätte, um sich anschließend in Cleenes Namen zu entschuldigen und eine Entschuldigung bei ihr zu erbitten.
Dem Professor allerdings war bereits die ganze Zeit das selbstherrliche Verhalten des Obermotzen aufgestoßen. Alleine der Gedanke sich vor diesem Mann rechtfertigen zu müssen, war ihm zu wider. Dass er dabei auch noch die gesamte Zeit durch die Gegend laufen musste, schlug dem Fass beinahe den Boden aus. Was es jedoch zum Überlaufen brachte, war die Tatsache, dass er selbst bisher nicht zu Wort gekommen war, ein Umstand, der sich nun in einem viertelstündigen Vortrag Luft machte, währenddessen sie das Gebäude mindestens einmal umrundeten und zwei Mal das Stockwerk wechselte. Während dieser Zeit war Fidster oft damit beschäftigt, sich die Augen zu reiben und kräftig auf seine Schläfen zu pressen, um die farblichen Mordanschläge auf sein Gehirn abzuwehren. Der Obermotz hingegen schien während des gesamten Wortschwalls unbeeindruckt seiner Arbeit nachzugehen, obwohl die Anweisungen, die er gab, und die Berichte, die er erhielt, selten etwas miteinander zu tun zu haben schienen.
„Was sie mir also sagen wollen, ist, dass sich Frau Cleene jederzeit in eine unhöfliche und überaus gefährliche Person verwandeln könnte, und dass sie trotzdem mit ihr zusammenarbeiten, ohne Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen?“
„In einen noch gefährlichere Person“, nuschelte Fidster, bevor der Professor antworten konnte.
„Was haben sie gesagt?“
„Nichts, ich meinte nur, dass das der Grund ist, weswegen ich ihr nicht gerne im Weg stehe.“
„Unter diesen Gesichtspunkten erscheint mir ihre Zurückhaltung verständlich.“ Der Obermotz hielt ein weiteres Mal neben einer Tür.
„Muscheldill! Wurde Frau Cleene untersucht?“ Der angesprochene stürzte ebenso schnell wie seine Kollegen vor sein Büro, salutierte auf die hier übliche Weise und antwortete so laut, dass sich Fidsters Hände von seinen Schläfen zu seinen Ohren bewegten.
„Nein, Herr Obermotz. Wachtmeister Ringelwipp gehört zur einfachen Feldwache und verfügt daher über kein MDVT“, echote es den Gang entlang.
„Über was?“
„MDVT, Herr Obermotz.“
„Sie meinen den Mobilen Drogen- und Verzauberungstest?“ Der Angesprochene nickte. „Dann sagen sie das auch. Noch etwas. Haben sie inzwischen ihre Ohren untersuchen lassen?“
„Ja, Herr Obermotz. Alles in Ordnung.“
„Warum brüllen sie dann immer noch so?“
„Es sind meine Stimmbänder. Der Amtsschamane will sie übermorgen verkleinern.“
„Viel Erfolg. Ich hoffe, ihre Probleme hören damit auf. Am besten gehen sie jetzt wieder an ihre Arbeit.“
„Jawohl, Herr Obermotz, danke, Herr Obermotz.“
Nach der nächsten Ecke erklärte er seinen Begleitern: „Der arme Kerl hat früher für das Öffentliche Amt zur Förderung der arkanen Bildung und Infrastruktur in Rotandul gearbeitet. Ich weiß nicht, was sie mit ihm dort angestellt haben, aber die Schäden sind unübersehbar.“
Es dauerte eine ganze Weile, bis die vier Pylonisten die Bezeichnung des Amtes in die Abkürzung übersetzt hatten, die sie immer verwendeten. Schließlich meldete sich der Professor zu Wort: „Ich habe das Amt nur als stillen und eher feierlichen Ort kennengelernt. Welche Arbeit verübte er dort, dass er einen solchen Schaden davon getragen hat?“
Nun war es an dem Obermotz, länger zu überlegen. Er tat dies, indem er stehenblieb und den Professor mit einem ernsten, durchdringenden Blick betrachtete, bis sich seine Miene aufhellte und er sich ein leises Lachen gestattete. „Nein, nein, sie denken, seine laute Stimme wäre der Schaden. Sie ist der Grund, wieso er seinen Arbeitsplatz verloren hat. Was ich meine ist dieser unsägliche Zwang, alles abzukürzen. Aber wo waren wir stehen geblieben? Ach ja! Es gilt noch zu klären, warum Frau Cleene sich auf die Weise verhalten hat, wie sie es tat. Dies wird letztendlich das Strafmaß bestimmen. Der Herr Professor war so freundlich, mir von den Komplikationen zu berichten, die durch den Bolzen in der Stirn von Frau Cleene entstanden sind. War ihr Verhalten an jenem Abend kongruent mit dem nach der Verletzung? Herr Fidster?“
„Ich glaube nicht, Herr Obermotz.“
„Sie glauben? Auf was basiert dieser Glaube?“
„Na ja. Cleene kann nicht Fluchen.“ Alle Augen richteten sich auf die Frau, die die Augen verdrehte und die Schultern hochzog.
„Dies ist grundsätzlich lobenswert, aber in wie weit beeinflusst dies ihren Glauben?“
„Sie verstehen nicht. Sie ist vollkommen unfähig, einen anständigen Fluch zu äußern. Selbst wenn ihr ein Stein auf den Fuß fallen würde, würde sie höchstens mit einem ‚doofer Stein‘ darauf reagieren. Als sie jedoch den Bolzen in der Stirn hatte, haben wir alle ein paar neue Schimpfwörter kennengelernt. Sie konnte sozusagen gar nicht mehr mit dem Fluchen aufhören.“
„Aus ihren Ausführungen schließe ich, dass sie, während sie die Kühe umgeschubst hat, nicht geflucht hat.“
„Richtig, Herr Obermotz.“
„War sie denn ansonsten bei klarem Verstand?“
„Das würde ich wiederum auch nicht behaupten. Sie wirkte, als wäre sie sternhagelvoll.“
„Sternhagelvoll? Auch ein interessantes Wort. Hatte sie zuvor etwas getrunken?“
„Nein, die Regularien der ÖfA … des Amtes sehen vor, dass wir während der Arbeit ausschließlich Wasser mit uns führen.“
„Und sie halten sich immer an die Regularien.“
Fidster warf dem Professor einen langen Blick zu, der ihm daraufhin zu Hilfe kam: „Der Wasserschlauch unseres Arbeitgebers sorgt dafür, dass jede Flüssigkeit, die den Wasserschlauch verlässt, reinstes Quellwasser ist.“ Ein weiteres Mal vermied er es, die Abkürzung zu verwenden und blickte dabei in die betrübten Gesichter der beiden Außendienstler.
„Ausgehend von der Annahme, dass ihre Ausrüstung nicht“, der Obermotz hustete kurz, „schadhaft ist, können sie Begegnungen mit wandernden Kneipen, 93%-Moskitos, Schlechttemplern und Schnapsmagiern ausschließen?“
„Eine Kneipe wäre mir aufgefallen, aber von den anderen habe ich noch nichts gehört.“
„Ich gebe zu, dass die Gemeinschaft der Schlechttempler ihre Mitglieder nur sehr selten so weit in den Süden ausschickt und die 93%-Moskitos wiederum eher in tropischen Regionen auftreten, aber Schnapsmagier torkeln überraschend häufig an Plätzen herum, wo niemand sie erwartet hätte, sie selbst eingeschlossen.“
„Nein, Herr Obermotz, der letzte Magier, dem wir begegnet sind, war … nüchtern.“ Fidster und Au, die die Geschichte nur gehört hatte, wagten einen wackeren Versuch im Synchronerröten.
„Das einzige, auf das wir gestoßen sind, kurz bevor Cleene damit begann, die Kühe umzuwerfen, war ein großes Blumenfeld. Wir waren für einen Augenblick am überlegen, ob wir dort einen Pylonen aufstellen könnten, entschieden uns dann aber dagegen, nachdem wir das Schild in der Mitte der Wiese gesehen hatten.“
„Danke, Fidster, dass du mich daran erinnerst.“
„Wieso? Ist dort etwas geschehen?“
„Sie ist hingefallen.“
„Ich bin ausgerutscht. Das kann jedem passieren.“
„Aber danach sahst du aus wie ein gelbes Wollknäuel.“
Der Obermotz erstarrte für einen Augenblick.
„Unterschlupf? Gibt es in der Nähe der Südweide des Zirbeler-Toms ein Ikakfeld?“
Das inzwischen wohlvertraute Prozedere vollzog sich erneut, wobei Unterschlupf mit seiner breiten Hüfte gegen den Türrahmen stieß und damit seine Kleidung in Schwingung brachte.
„Ja, Herr Obermotz.“
„Lassen sie es einzäunen und die notwendigen Schilder auf allen Seiten anbringen. Wer ist auf die dämliche Idee gekommen, das Schild in der Mitte des Feldes aufzustellen?“
Unterschlupf regte sich nicht und starrte auf das linke Ohr seines Vorgesetzten. Der Obermotz betrachtete ihn prüfend.
„Da sie nicht die Befugnisse haben, eine solche Anweisung zu erteilen, ohne dass ich sie gegenzeichne, muss ich sie wohl erteilt haben. Wie nachlässig von mir. War das vor zwei Jahren?“ Unterschlupf nickte. „Dann will ich nicht so streng mit mir sein.“
„Darf ich fragen, Herr Obermotz, was es mit diesen Blumen auf sich hat?“
„Bei der Ikak-Pflanze handelt es um einen hochstämmigen Bodendecker, dessen Pollen in Verbindung mit Metall zu einer Gärung der verschiedensten Flüssigkeiten führen kann, Herr Professor.“ Der Obermotz legte seine Stirn in Falten und blickte auf die Arbeitskleidung, die Fidster und Cleene trugen. „Hatten sie zufälligerweise ein Stück Metall im Mund? Frische Piercings? Ist vielleicht etwas vom Bolzen in der Wunde geblieben?“
„Nein, die haben wir sauber gemacht.“
„Ich habe aber eine Metallplatte im Kopf, weil …“
„Das tut jetzt nichts zur Sache, Cleene.“
„Und ich hatte mich bereits gewundert, warum der Bolzen sie nicht getötet hat. Warum haben sie das nicht erwähnt?“ Fragte der Obermotz den Professor, der ihn überrumpelt anblickte. „Aber damit ist auch endlich dieses Rätsel gelöst.“ Der Amtschef lächelte erfreut, öffnete die Tür zu seinem Büro und setzte sich hinter seinen Schreibtisch, wo er augenblicklich drei Blatt Papier aus einer Schublade herauszog, die er nacheinander beschrieb, während die Pylonisten warteten.
„Dies ist für sie, Frau Cleene.“
Cleene nahm den Zettel entgegen. „Ein Freispruch? Das gefällt mir.“
„Sie haben unter Einfluss einer Droge gehandelt und waren nicht verantwortlich für ihre Taten, vor allem da das Feld nicht ausreichend gesichert war. Und hier ist ihr Bescheid, Herr Fidster.“
„Fünf Dublonen? Warum? Ich habe doch gar nichts gemacht?“
„Wenn sie die Urteilsbegründung lesen, werden sie feststellen, dass dies genau das Problem ist. Seit zehn Jahren befindet sich ein Gesetz in Kraft, dass alle Bürger in die Pflicht nimmt, andere Bürger davon abzuhalten, sich mit Hilfe von Ikak zu berauschen.“
„Ich dachte, das funktioniert nur in Verbindung mit Metall.“
„Sehr richtig.“
„Dann ist das aber ein sehr spezifisches Gesetz.“
„Sie glauben nicht, wie oft der Ikakrausch vorkam. Würden sie einen Schritt nähertreten?“
Der Obermotz stand auf und verabreichte Fidster eine schallende Ohrfeige, die seinen Kopf zur Seite fliegen ließ. Der Pylonist griff sich an die Wange und wollte gerade zu einer Frage ansetzen, als der Obermotz ihm mit der Antwort zuvorkam: „Darüber hinaus ist die Strafe fünf Dublonen und eine Ohrfeige, damit sie sich dieses Gesetz besser merken.“ Fidster warf einen Blick auf das Schreiben in seiner Hand und fand die entsprechende Stelle. Als er seinem Gegenüber wieder ins Gesicht blickte, verriet ihm das Lächeln aber auch, dass der Mann diesen Teil der Bestrafung ganz besonders zu schätzen wusste.
Der Obermotz setzte sich wieder und winkte den Professor heran.
„Für sie habe ich auch noch einen Bescheid.“
„Für mich?“
„Sie sind doch der Fahrer des Einsatzwagens vor den Türen unseres Amtsgebäudes.“
„Ja, das bin ich, aber ich bin mir ganz sicher, dass der Platz als Parkzone ausgezeichnet war. Und wir haben für zwei Stunden einen Parkschein gelöst.“
„Das ist beides richtig, wie mir der Bericht des Parkkobolds bestätigt. Allerdings steht der Wagen bereits seit zwei Stunden und fünf Minuten auf dem Platz.“ Damit überreichte er den Bescheid.
„15 Dublonen? Ich muss protestieren! Das wären drei Dublonen pro Minute!“
„Ich gebe ihnen Recht, dass das eine übertriebene Strafe wäre. Unser Satz liegt bei einer Dublone pro Minute. Sie haben bisher fünf Minuten überzogen. Bis sie ihre Strafe bezahlt und das Gebäude verlassen haben, vergehen weitere neun Minuten.“
„Und wofür ist die letzte Dublone?“
„Ich habe vorsichtshalber einen Puffer eingeplant, da sie wenigstens eine weitere Minute damit verschwenden werden, mit mir zu streiten.“
„Und wenn ich mich nicht mit ihnen streite?“
„Dann würde diese Diskussion ebenfalls die zusätzliche Minute rechtfertigen.“
Man merkte dem Professor an, dass er schwer mit sich am Ringen war. Schließlich setzte er eine Entschlossene Miene auf. Seine Augen verengten sich, sein Mund wurde zu einem Strich. Alle im Raum wussten, dass es in diesem Augenblick für ihn zu einer Frage der Ehre geworden war, das Gebäude schneller zu verlassen, um gegen den Bescheid Einspruch erheben zu können.
Er drehte sich um und lief überraschend schnell durch die Gänge. Seine Kollegen folgten ihm, wobei selbst Au kein Problem damit hatte, ihn einzuholen.
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