Eine lange Busreise beginnt mit coolen Linien in der Luft und endet mit DEM Gespräch über Riesenkrabben.
„Das sieht ja aus, wie ein wandernder Bondage-Zirkus.“
„Dafür sind die doch schon zu alt.“
„Dafür gibt es keine Altersbegrenzung. Aber dass Haartaner da so drin sein könnten, hätte ich nicht gedacht.“
„Vor allem Blaue. Wahrscheinlich ist sie die Sklavin.“
„Dann haben sie wohl mehrere.“
„Du meinst wegen der Gefesselten? In diesem Fall würden sie sich eines Vergehens gegen ÖfAFödaBI-Regeln im Feld, Buch 3, Abschnitt 2, Paragraph 19: ‚Verwendung der Ausrüstung für Fesselungsspiele‘ schuldig machen.“
„Hoffen wir das nicht. So viele bekommen wir hier nicht mehr rein.“
„Hört, hört!“
Die überaus qualifizierten Äußerungen kamen von einem Schnellwagen, auf dem sich zehn junge Gnome zusammendrängten. Nach den Ereignissen am Vortag hatte der Professor eine Nachricht an die ÖfAFödaBI geschickt, die als Antwort das SWAT (SchnellWagenAbholTeam) geschickt hatten. Sie waren der Schrecken jedes Außenteams, weniger wegen der Dinge, die einer Abholung folgten, sondern vielmehr wegen dessen, was all jene Berichteten, die jemals mit ihnen gereist waren – wenn man denn jemals wieder etwas von jenen unglücklichen Seelen hörte.
Die freundlichen Kommentare waren nur ein kleiner Vorgeschmack und Cleene fröstelte es bei dem Gedanken, mindestens drei Stunden mit ihnen verbringen zu müssen.
Ihre Kollegen hatten Cleene bereits am Morgen außerhalb des Wagens an eines der Räder gefesselt, um eine Mütze Schlaf zu bekommen. Zu sehr waren sie die ganze Nacht über damit beschäftigt gewesen, sie nicht aus den Augen zu lassen. Deswegen war sie die erste, die das schnell näherkommende Geräusch hörte, welches ihre Ohren zum Wackeln brachte, bis es nah genug war, dass sie den Verursacher ausmachen konnte. Das war der Moment, in dem das Gehirn entschied, nicht mehr auf die Ohren zu hören und sie schlicht abzuschalten. In Kombination mit der Staubwolke, die trotz des feuchten Bodens aufgewirbelt wurde, und dem Umstand, dass man den Verursacher nur als ein paar farbige, waagerechte Streifen in der Landschaft wahrnehmen konnte, viel es Cleene nicht schwer, auf einen Schnellwagen zu tippen. Natürlich hatte sie die Botschaft des Professors mitbekommen, denn der eine Raum der mobilen Einsatzstation bot keinen Platz für großartige Heimlichkeiten. Daher konnte es sich natürlich nur um das SWAT handeln. Cleene war versucht, laut zu fluchen, hatte aber das unbestimmte Gefühl, dass ein Teil von ihr von dem, was ihren Mund verlassen würde, peinlich berührt wäre. Andererseits bestand natürlich auch immer die Gefahr, dass jener Teil sie einfach auslachen würde.
Sobald sich die Streifen in der Landschaft vor ihren Augen in einen langgestreckten, eleganten Wagen verwandelt hatten, begann Cleene, den Staub aus ihren Augen zu blinzeln und mit einigen kräftigen Links- und Rechtsschüben ihres Unterkiefers die Ohren wieder frei zu bekommen.
Ungewollt entfuhr ihr beim Anblick des Gefährts ein „Wow!“ was die zehn Gnome nur mit breiten Grinsen zur Kenntnis nahmen. Und erst wenn man einmal einen Gnom gesehen hatte, wusste man wirklich, was ein breites Grinsen war. Denn ihre Köpfe waren gewaltig und neigten dazu, auf ihren dürren Hälsen hin und her zu wackeln. Aber der Mund war noch gewaltiger und man bekam schnell den Eindruck, dass er sich einmal um den gesamten Kopf zog, was bei einigen Exemplaren Gerüchten zu Folge der Wahrheit entsprach. In einer Dokumentation, die sie einmal bei einer offiziellen Dokumentationstheatergruppe gesehen hatte, wurde als Grund für die Größe des Kopfes das überaus große Gehirn dieser kleinen Gestalten genannt. Wer sich einmal mehr als ein paar Minuten mit einem Gnom unterhalten hatte, hegte kaum noch Zweifel daran, dass unter der grauen Haut viel Wissen abgespeichert war, denn sie genossen es, jeden zu belehren oder zu verbessern. Genauso schnell bemerkte man jedoch auch, dass das Wissen nichts mit Verstand zu tun hatte, und wünschte sich, dass sie endlich den Mund hielten oder der eigene Kopf explodierte, in manchen Fällen sogar beides.
Zu der Größe des Mundes hatten die Schauspieler jedoch nur einige Vermutungen geäußert. Eine bestand darin, dass Gnome in ihrem Essverhalten lange Zeit auf eine schnelle Nahrungsaufnahme angewiesen gewesen waren. Eine andere besagte, dass sie sich ursprünglich in Sümpfen versteckt gehalten hatten und durch ihre kleinen Zähne das Wasser um sich herum gefiltert und getrunken hatten. Viele Gnomologen hatten feststellen müssen, dass ihr Studienobjekt ihnen auch keine Auskunft diesbezüglich geben würde, dass man sie bitte auch nicht mehr fragen sollte und dass man mit der richtigen Technik einen Kopf locker mehr als zwanzig Mal gegen einen Baumstamm schlagen konnte, bevor ein Gnomologe ohnmächtig wurde.
Das alles ging Cleene im ersten Augenblick jedoch nicht durch den Kopf, denn der silbrig glänzende Wagen hielt ihre Aufmerksamkeit noch ein wenig länger gefangen. Es handelte sich um einen nagelneuen LLR-SylverCrest 303. LeyLineRoads hatte sich mit diesem Model selbst übertroffen: Ein Chassis aus gezogenem Spinnensilber in Form eines schwanzlosen Delphins; ein Frontscheibe aus gezüchtetem Diamantglas; ein einfahrbares Dach, welches in einer extradimensionale Tasche verschwand; und Räder mit Reifen aus Gummi-Ent-Leder, verschalt von durchgängigen Spinnensilberradkappen.
Cleene war keine begeisterte Wagenfahrerin und wusste, dass der SylverCrest zu einem sehr teuren und schweren Laufrad wurde, wenn man ihn jenseits von Pylonenstrecken oder Ley-Linien verwenden wollte. Aber dieses Gefährt hatte in seiner kurzen Existenz mehr Menschen überfahren als jedes andere in der Geschichte der Ley-Linien-Befahrung. Sie betrachtete es daher mit einer Mischung aus professioneller Bewunderung und der angebrachten Furcht eines potentiellen Opfers. Sie hatte nicht wirklich Angst vor den Ley-Linien-Rasern, denn sie war immer sehr bemüht, niemals direkt auf einer Linie zu laufen, aber dass die ÖfAFödaBI ein solches Gefährt an Gnome ausgegeben hatte, versetzte sie in Schrecken.
„Ich sehe, dass das ÖfAFödaBI meine Anfrage ernst genommen hat“, meldete sich endlich der Professor, während er aus dem Wagen kam.
„Das, oder sie wollten die Gnome loswerden“, konnte Cleene Fidsters Stimme gerade noch aus dem Wagen vernehmen.
„Willkommen. Gehe ich Recht in der Annahme, dass sie gekommen sind, um Cleene gurr Cleene abzuholen?“
Die Gnome lachten schallend als Cleenes voller Name ausgesprochen wurde, und ihr wurde übel bei dem Gedanken, mit diesen Idioten reisen zu müssen. Gut, ihr Vater hatte nicht besonders viel Einfallsreichtum bewiesen, als er ihr seinen Namen verpasst hatte und das war sicherlich einer der Gründe, warum sie nicht einmal wusste, ob er noch lebte oder bereits eines hoffentlich unangenehmen Todes gestorben war. Trotzdem bedeutete dies, dass sie nach all den Jahren leichter mit dem Spott über ihren Namen umgehen konnte.
Unter anderen Umständen hätte sie die Gnome wahrscheinlich mit Freuden massakriert (Diese Umstände wären wie folgt gewesen:
- Sie wäre nicht gefesselt gewesen.
- Sie wäre im Besitz einer Waffe gewesen.
- Die Gnome hätten nicht in dem SylverCrest gesessen.
- Sie hätte sie aus dem Hinterhalt angreifen können (Ehrlich! Niemand kann glauben, dass Cleene es ohne weiteres mit zehn Gegnern gleichzeitig aufnehmen könnte, selbst wenn es sich um Kopflastige Vollpfosten handelte))
„Das ÖfAFödaBI schickt uns“, verkündete einer der Vier auf der hinteren Bank und wedelte mit einem Pergament.
„Ist es nicht etwas übertrieben, ein ganzes SWAT-Team für Cleene zu schicken?“ mischte sich Fidster ein, wofür er mit vernichtenden Blicken aus den feuchten, grauen Glubschaugen der Gnome gemaßregelt wurde.
„Das ‚T‘ in SWAT steht bereits für Team. Es ist daher falsch und nach den ÖfAFödaBI-Regeln im Feld, Buch 21, Abschnitt 1, Paragraph 2 (Umgang mit dem SWAT) strikt zu vermeiden.“ Man konnte hören, wie der Beifahrer die Klammern verwendete, ohne dass er sie tatsächlich aussprach. Die anderen Gnome nickten beifällig, während die Miene des Professors langsam versteinerte.
„Sind sie hierhergekommen, um Cleene gurr Cleene zu evaluieren?“
„Steht alles hier drin.“ Erneut wurde das Pergament gewedelt. Der Professor gab Au ein Zeichen, die daraufhin in einer seltsamen Mischung aus schüchterner Zagheit und eilfertiger Schnelligkeit zum Wagen lief, das Schreiben entgegennahm und sofort zu ihrem Vorgesetzten zurückkehrte. Dieser rollte es aus und schüttelte wenig später den Kopf.
„Ich kann nicht sagen, dass es mich überrascht. Macht Cleene reisefertig.“
Die Gefangene atmete mit einem hörbaren zischen aus. Als der Professor das Wort „evaluieren“ ausgesprochen hatte, war sie nicht ganz sicher gewesen, was es bedeute, hatte jedoch Hoffnung geschöpft, dass sie nicht zurück zur Zentrale gebracht werden würde. Die Gespräche dort waren nervenraubend, aber die Fahrt mit den Gnomen würde vermutlich kaum noch etwas übrig lassen, was man ihr hätte rauben können. Jetzt konnte sie nur noch zusehen, wie Fidster ihre Tasche aus dem Einsatzwagen holte und Au ihr ein eiliges Frühstück bereitete, damit sie nicht mit leerem Magen auf die weite Reise gehen musste. Aber auch der Professor verschwand für einen Moment im Wagen.
Sobald sie zurückkehrten, ging alles sehr schnell. Mit Aus Hilfe verschlang Cleene ein Butterbrot und trank etwas Kräuteraufguss. Fidster verstaute ihre Tasche im Kofferraum und der Professor half ihr beim Aufstehen, wobei er sie überraschenderweise umarmte und ihr seinen Schal umband. „Damit dir nicht kalt wird“, sagte er laut. Flüsternd fügte er jedoch hinzu „Und damit du nicht wahnsinnig wirst.“
„Was?“ brüllte sie ihm zur Antwort ins Ohr und der Professor ließ eilig ab von ihr. Bevor ihr jemand antwortete, wurde sie allerdings von Fidster zum Wagen gezogen und zwischen die Gnome auf der Rückbank gequetscht.
Das letzte was sie von ihr sahen, war die Panik in ihrem Gesicht, das sich in mehrere transparente Streifen in der Landschaft verwandelte und verschwand. Das letzte, was sie hörten, waren die Worte eines der Gnome, der ihnen zurief: „Und passen sie auf. Wir haben unterwegs ein paar Riesenkrabben gesehen, die auf dem Weg in diese Richtung waren.“
„Sehr schön, ein Mann weniger und auch noch Riesenkrabben im Anmarsch. Da sollten wir uns wohl eingraben. Aber eins müssen sie mir noch verraten, Professor: Warum haben sie ihr den Schal gegeben? Soweit ich weiß, wird einem in den Wagen eher zu warm.“
„Nun. Es war eine nette Geste. Damit sie weiß, dass wir sie nicht aufgeben.“
Fidster verschluckte sich fast an seiner eigenen Spucke bei den Worten des Professors, bis Aus leise Stimme zu vernehmen war: „Das war sehr freundlich von ihnen, Herr Professor. Besonders da das ihr Geräuschunterdrückungsschal war.“
„Sie haben einen Geräuschunterdrückungsschal?“ Fidster zögerte. Mit einem Mal wurde die ab und an auftauchende Schwerhörigkeit des Professors sehr viel plausibler. „Natürlich haben sie einen Geräuschunterdrückungsschal. Damit wir ihnen nicht zu sehr auf die Nerven gehen? Dann war das tatsächlich ein sehr großzügiges Geschenk.“ Bei den letzten Worten grinste Fidster wölfisch.
„Es war kein Geschenk. Ich erwarte, dass ich ihn zurückerhalte. Ich hoffe nur, dass die Gnome ihn ihr nicht abnehmen. Strenggenommen sollte sie als Gefangene keine Magie am Körper tragen. Aber ich muss sowieso noch mit dem Hauptquartier sprechen. Bereitet schon mal die Perimeter Überwachung vor.“
Damit verschwand er im Einsatzwagen, um noch schnell den Pylonenstrahl anzuzapfen, bevor ihre Verteidigungsanlagen jegliche Kommunikation unmöglich machte.
„Wo kommen bloß diese Krabben her“, flüsterte Au beim Zusammenfalten des Klapptisches, den sie am Abend draußen gelassen hatten.
„Also, wenn Mamma-Krabbe und Papa-Krabbe zusammenkommen, dann suchen sie sich ein kuscheliges Dorf, in dem sie die Menschen fressen“, begann Fidster, wie er es mit Cleene bei einer solchen Gelegenheit getan hätte. Anders als seine Partnerin verdrehte Au jedoch nicht die Augen und hörte stattdessen zu. Deswegen schaltete sein Mund auf Automatik und plapperte die Worte heraus, ohne das Gehirn zu bemühen.
„Und wenn sie alle Menschen gefressen haben, sind sie kräftig genug, um Sex zu haben und ein paar Eier zu legen, die sie dann einbuddeln und nach ein paar Monaten schlüpfen daraus kleine Baby-Riesenkrabben.“ Er hatte keine Ahnung, ob dies tatsächlich der Ablauf war, aber in seiner Kindheit hatten seine Eltern ihn Regelmäßig zu den Aufführungen des Kinderdokumentationstheaters „Wissen? Oje!“ geschleift (und zu „Das Theater mit der Ratte“, „Geschichte des Grauens“ sowie „Raptorenzahn“ – es gab Gründe, warum er nicht mehr mit seinen Eltern sprach). Einige Bilder vergaß man nicht und die Aufführung zum Leben der Krabben, Spinnen, Skorpione und Insekten war definitiv eine seiner liebsten gewesen, auch wenn er damals noch nicht alles begriffen hatte.
„Was meinen sie mit ‚Ei‘, Herr Fidster? Etwa so etwas, wie der Professor jeden Morgen isst?“
„Wenn ich mich nicht irre, isst der Professor Hühnereier, aber das Prinzip ist dasselbe.“
„Bedeutet das, dass das eigentlich Baby-Hühner sind?“ Aus helle Haut wurde noch blasser und es schüttelte sie ein wenig.“
„Im weitesten Sinn ja. Aber die Eier sind noch keine Baby-Hühner, ich meine Küken. Das ist, wie soll ich sagen, noch vorher.“
Die Haartanerin sah ihn mit weit aufgerissenen Augen und Mund an. Offensichtlich hatte es ihr die Sprache verschlagen.
„Willst du mir sagen, dass du nicht wusstest, was Eier sind?“ Au antwortete mit einem heftigen Kopfschütteln.
„Und du hast auch keine Ahnung, wie Fortpflanzung funktioniert?“
„Doch, das weiß ich.“ Stieß sie im Brustton der Überzeugung hervor. Fidster konnte später nicht mehr sagen, wieso ihm sofort geschwant hatte, dass sie nicht dasselbe wie er darunter verstand. Vermutlich war es die Tatsache, dass noch nie jemand einen männlichen Haartaner gesehen hatte.
„Entschuldige, aber das klingt jetzt vielleicht dumm, aber wie pflanzen sich Haartaner fort?“
Au lächelte überlegen, was etwas entnervend war. „Aber das weiß doch jedes Kind.“
„Na, dann gehe ich davon aus, dass ein Haartaner-Mann und eine Haartaner-Frau miteinander Schlafen und nach ein paar Monaten die Frau ein gesundes Haartaner-Baby zur Welt bring.“
Jetzt lachte Au tatsächlich. „Aber Herr Fidster. Es gibt doch gar keine Haartaner-Männer.“
„Dann geb’ ich zu, dass ich zu den Kindern gehöre, die es nicht wissen. Wie vermehrt ihr euch dann?“
Das Lachen ebbte zu einem Kichern ab. „Na wie schon? Wir warten, bis wir einen Partner finden, dessen Zyklus mit dem eigenen übereinstimmt, dann …“ Sie kicherte noch mehr, als wäre ihr dass, was sie jetzt sagen würde, ungemein peinlich, beugte sich zu Fidster hinüber und flüsterte ihr hinter vorgehaltener Hand „… reiben wir unsere Haare aneinander.“
Mit hochgezogener Augenbraue blickte der Pylonist die junge Frau an. „Und so entstehen Haartaner? Das kann nicht dein Ernst sein.“
„Doch, ich habe es doch schon zweimal gemacht. Allerdings sind die Haare bei meiner Partnerin hängen geblieben. Deswegen sind die Kinder bei ihr.“
„Du hast zwei Kinder? Das sieht man dir aber nicht an.“
Mit einem Schlag wurde Au traurig. „Ich weiß.“
„Allerdings erklärt das noch nicht, wie durch Haarereiben Kinder entstehen.“
„Ach, das müssen sie nun aber wirklich wissen.“
„Ich weiß es aber nicht. Habt ihr dort oben Geschlechtsorgane? Befruchtet ihr euch irgendwie? Wie wird das Kind ausgetragen?“
„Was sind Geschlechtsorgane?“
„Äh. Na Penis und Vagina halt.“
„Was ist ein Penis? Klingt irgendwie niedlich. Vagina dagegen klingt irgendwie würdevoller. Aber ich glaube ich wäre mehr für einen Penis. Kann ich auch einen haben?“
„Aber du bist doch eine Frau.“
„Frauen haben keinen Penis?“
„Nein, Frauen haben eine Vagina.“
„Dann müsste ich ja auch eine haben. Wie sieht die denn aus?“
„Ehm. Naja, Frauen haben da diesen Schlitz, oder vielleicht auch eher eine Falte“, dabei deutete er zwischen seine Beine. Auf Au zu deuten wäre ihm zu peinlich gewesen. „Und darin verborgen ist ein Loch. Da Pinkel Frauen auch mit, wenn ich das richtig verstanden habe.“
„Pinkeln ist das, was sie manchmal am Baum machen?“
„Ja, äh, oder auf der Toilette im Einsatzwagen. Aber der Professor sieht das nicht so gerne, weil, naja, es stinkt halt irgendwann.“
„Ich muss nicht Pinkeln.“
„Wahrscheinlich sollte ich jetzt überraschter sein. Aber irgendwie glaube ich, dass das nicht das seltsamste ist, was ich heute gehört habe.“
„Wieso? Was ist daran so seltsam?“
„Menschen müssen Pinkeln. Wir essen, und die Reste müssen raus. Wir trinken, und der Überschuss muss raus. So ist das eben. Aber anscheinend nicht bei Haartanern.“
„Oh doch, Reste vom Essen würgen wir alle paar Tage raus. Aber ich mach das immer, wenn alle schlafengegangen sind. Das ist etwas peinlich.“
„Gut. Schön, das zu wissen. Du hast mir allerdings immer noch nicht gesagt, wie denn jetzt aus dem Haarereiben ein Baby entsteht.“
„Wir pflanzen sie natürlich ein.“
„Wie, ‚ihr pflanzt sie ein‘? Ihr pflanzt die Babys ein? Woher habt ihr die Babys?“
„Natürlich aus den Haaren.“ Jetzt wurde Au ein wenig rot. „Beim Kämmwuscheln verknüllen sich einige Haare zu Knoten …“
„Beim was?“
„Kämmwuscheln. So nennen wir es, wenn wir unsere Haare aneinander reiben. Auf jeden Fall verknoten sich einige Haare dabei und manchmal, wenn man nicht aufpasst, wächst daraus ein Baby. Wenn es zu schwer wird, werden die Haare ausgerissen und die Wurzel wird eingepflanzt, bis es ausgewachsen ist.“
„Ich hatte Recht.“
„Womit?“
„Es war nicht das Seltsamste.“
„Was ist daran seltsam?“
„Na alles! Ich kenne kein Volk, bei dem Sex so funktioniert.“
„Was ist denn Sex? Sie haben das vorhin bereits erwähnt.“
„Offensichtlich etwas, was Haartaner nicht haben.“
„Würden sie es mir vielleicht erklären? Es scheint ja wichtig zu sein.“
„Vermutlich nur Fair. Immerhin hast du mir eure Variante erklärt.“ Er holte tief Luft.
„Ich habe doch schon von der Falte bei Frauen erzählt; und dem Loch. Das nennt man Scheide.“
„Wie beim Schwert?“
„Ja, mhm, wie beim Schwert. Auf jeden Fall hat ein Mann einen Penis da wo eine Frau eine Scheide hat“, Fidster deutete auf seinen Unterleib, wobei es ihm nicht leicht fiel, dabei seine Gelassenheit zu bewahren. „Und dieser Penis passt in eine Scheide.“
„Wie ein Schwert?“
„Äh, ja, mhm, wie ein Schwert. Wenn ein Mann und eine Frau Sex haben, kann es passieren, dass aus dem Penis Samen herauskommen und in der Frau ein Ei finden, dass sie dann befruchten. In neun Monaten wächst dann in der Frau ein Kind heran, dass sie am Ende herausdrücken muss.“
„Das bedeutet, Frau Cleene hat auch Eier? Sie legt aber keine, oder?“
„Nein, Menschen legen keine Eier. Viele Tiere auch nicht. Vögel legen Eier, und Echsen glaube ich. Und Riesenkrabben.“
„Und die kann man Essen.“
„Bei denen von Echsen und Krabben bin ich mir nicht sicher.“
„Und alle haben Sex?“
„Soweit ich weiß, ja. Nur Menschen machen es auch zum Spaß.“
„Warum?“
„Es fühlt sich gut an.“
„Das würde ich ja gerne mal ausprobieren.“
Es war seltsam, wie sehr sich die normalen Rollen vertauscht hatten. Au sprach ohne Scham von Dingen, die Fidster das Blut ins Gesicht trieben.
„Ich bin nicht sicher, ob du dafür wirklich ausgestattet bist.“
„Oh, das stimmt. Ich habe ja keine Scheide.“ Die Haartanerin überlegte kurz. „Kann ich dann wenigstens einmal ihren Penis sehen?“
„Nein, das kannst du ganz bestimmt nicht.“
In diesem Moment kam der Professor wieder heraus. Fidster verfiel sofort in peinliches Schweigen, in der Hoffnung, dass Au das Thema ruhen lassen würde. Stattdessen berichtete sie dem Professor haarklein von ihren neuen Erkenntnissen.
Der große Mann wäre vor Lachen fast nicht rechtzeitig in den Wagen gelangt, als die Riesenkrabben erschienen. Er lachte auch noch, als der Einsatzwagen unter den Scherenangriffen zu schwanken begann.
Fidster war sehr froh, als der Professor endlich einschlief.
Verwendete Tropen:
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